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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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Landes hervor, für das nicht wenige voller Stolz ihr Leben geben würden.
    Hinter dem Lenkrad sitzend lauschte Napolean Trintignant der Musik von Bob Marley und berichtete ihnen von historischen Ereignissen, während sie an den interessanten Orten vorbeifuhren. Dies war die Geschichte, die in keinem Buch auftauchte. Er erzählte abscheuliche Märchen, die offenbar kein Ende hatten und in denen es nur so wimmelte von ungehörigen Schwangerschaften, Bruderkriegen oder Morden, die im Schutze der Nacht oder unter der unbarmherzig brennenden Sonne verübt wurden.
    »He, seht ihr diesen Wasserturm, an dem wir gerade vorbeikommen? Vor zwanzig Jahren soll sich hier ein schwangeres Mädchen aufgehängt haben, weil es kein Baby und auch keinen Ehemann wollte, versteht ihr? Man sagt, dass man das Baby noch einmal im Jahr hier weinen hören kann!« Und wie er es immer tat, wenn er eine dieser Geschichten erzählt hatte, beäugte Napolean sie skeptisch im Rückspiegel und brach dann in schallendes Gelächter aus. Ein Publikum, das ihm gebannt lauschte, das gefiel ihm.
    »Wissen Sie was?«, rief Justin nach vorn. »Ich war mir sicher, Sie würden sagen, dass man sie erst nach zwölf Stunden gefunden hatte … und das Baby immer noch am Leben war.«
    Napolean feixte. »Gut, Mann, der war gut. Genau so werde ich es beim nächsten Mal erzählen.«
    »Justin«, knurrte Leonard. »Ermutige ihn doch bitte nicht auch noch …«
    Justin beugte sich über den geräumigen Rücksitz aus kastanienbraunem Plüsch, um Leonard mit dem Ellbogen in die Seite zu buffen. Er fühlte sich in diesem Moment ziemlich gut, ja, das tat er. Er ließ sich bequem durch die Gegend chauffieren und hatte eine gut ausgestattete Bar zur Verfügung. Seit dem Flughafen hatte er bereits den Großteil eines Scotchs on the rocks vernichtet.
    »Die Südstaaten, Len«, sagte Justin. »Sümpfe und Bayous? Das Land der Geister. Nur weil du nicht über sie reden willst, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht da sind.«
    Leonard nickte, allerdings zu schnell, zu schroff. Seine Stimme war leise. In seinen Mundwinkeln war der körnige Rest der weißen Kautabletten zu sehen. »Nun, wenn du das Wochenende damit verbringen willst, dir die Geschichten der Dienstboten anzuhören, dann tu dir keinen Zwang an. Ich werde jedenfalls all das auskosten, was uns Mullavey freundlicherweise anbietet.«
    Wodurch dies ein weitaus amüsanteres Wochenende zu werden versprach, zumindest was Justin anbetraf. Er fragte sich, ob er nicht vielleicht den Knopf suchen sollte, mit dem man die Trennscheibe hochfuhr, damit Napoleans Ohren das nicht hören mussten, was Len so von sich gab, wenn er sein weißes Dope eingeworfen hatte.
    »Dir sitzt heute Nachmittag ein ordentlicher Furz verquer, was?«, meinte Justin. »Ich dachte, ich sei derjenige, der diese Reise eigentlich gar nicht machen wollte.«
    Eine verräterische Vene pochte an Leonards Kopf, während er schwer durch die Nase atmete. Er zählte langsam, um sich wieder zu beruhigen. Schließlich: »Ich will an diesem Wochenende bloß einen guten Eindruck machen.« Seine Stimme klang angespannt. »Ich habe Mullavey bis jetzt noch nie bei einem gesellschaftlichen Anlass getroffen.«
    Justin entschloss sich, lieber den Mund zu halten. Er schwieg und ließ sein Gegenüber in seinem kalten und durch eine leicht hochgezogene Augenbraue betonten Sarkasmus schmoren; und er lehnte sich in seinem Sitz zurück. Leonard machte sich sogar jetzt Sorgen um seinen Status in der Firma, ich hätte es wissen müssen. Sie hatten Mullavey Foods zusammen aus der Scheiße geholt, ihnen geholfen, den Wettbewerb an den Regalen laut ihren zeitlichen Rahmenbedingungen zu gewinnen, und immer noch sorgte sich Leonard, dass der Mann einen Grund finden könnte, ihn als Kundenberater abzuservieren. Er fragte sich wahrscheinlich insgeheim, Aber was habe ich in letzter Zeit für ihn getan? Typisch. Einfach alles an diesem Beruf ließ diesen für Justin immer unerträglicher werden.
    Das letzte Straßenschild, das er bemerkte, besagte, dass eine Stadt namens Garyville einige Meilen voraus lag, und dann bog Napolean ein letztes Mal ab und verkündete, dass sie ihr Ziel fast erreicht hätten. Mullaveys Land, es dünstete förmlich die Geschichte und die vielen Dekaden der Hitze und des Schwitzens wieder aus. Er wusste nichts über den Mann außerhalb von Mullaveys Firma. Seit Generationen eine reiche Familie? Es war das Diktat der Tradition, nicht wahr? Er hatte wahrscheinlich

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