Totenstätte
nicht der richtige Ansprechpartner.«
»Vielleicht könnten Sie sich bei jemandem erkundigen, der mehr mit ihr zu tun hatte, bei Dr. Levin zum Beispiel.«
»Ja … Ja, natürlich«, antwortete er zerstreut und war im Geiste schon bei den möglichen Skandalen, die über ihn hereinbrechen könnten.
Jenny zögerte, als sie Mitleid mit ihm verspürte. Er wirkte vollkommen hilflos. Man konnte sich leicht vorstellen, dass jüngere Kollegen nur darauf lauerten, ihn beim geringsten Fehlverhalten aus seinem schmuddeligen Büro rauszukatapultieren.
Sie schlug einen sanfteren Ton an, um ihm etwas von seiner Angst zu nehmen. »Darf ich Sie etwas fragen, das nur mit Ihrem fachlichen Wissen zu tun hat?«
»Ja, natürlich.«
»Bislang weiß ich über Cäsium 137 nur, dass es gefährlich ist, dass es sich um ein Nebenprodukt der Atomindustrie handelt und dass sich in Tschernobyl und Umgebung viel davon befindet. Was genau könnte man mit dem Stoff anfangen?«
»Sie liegen ganz richtig, wenn Sie den ehemaligen Ostblock erwähnen«, sagte er und sprach jetzt in einem aufgeregten, abgehackten Stakkato. »Die meisten illegal beschafften Substanzen stammen vermutlich von dort – von verarmten Wissenschaftlern, die sich in den frühen Neunzigerjahren ein paar Dollar dazuverdient haben. In der Tat, nach allem, was ich in der Zeitung gelesen habe, halte ich es für das ideale Material für eine schmutzige Bombe. Eine kleine Menge, in einem konventionellen Sprengkörper platziert,könnte sich mit dem Wind über eine ganze Stadt verteilen und sie für Jahrzehnte unbewohnbar machen. Eine grauenhafte Vorstellung.«
»Ich verstehe.« In Jennys naturwissenschaftlich unbedarftem Hirn begann sich ein neues Bild zu formen. Sie hatte sich vage vorgestellt, dass man mit der Substanz jemanden verseuchen oder eine lokal wirksame Bombe basteln konnte. Dass auch eine ganze Stadt zum Ziel werden könnte, war ihr nicht bewusst gewesen. Sie sahen sich über die chaotischen Bücher- und Papierstapel auf seinem Schreibtisch hinweg an, und zum ersten Mal verstand Jenny seine tiefe Besorgnis.
»Haben Sie irgendeine Vorstellung, wie Mrs. Jamal kontaminiert worden sein könnte?«, fragte er. »Für die Antiterrorkämpfer ist vermutlich nichts Schlimmeres denkbar.«
»Nein«, sagte Jenny. »Aber man hat einen Mann dort gesehen. Groß, weiß, schlank, um die fünfzig. Der Beschreibung nach hat er eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Person, die in der Nacht von Nazims und Rafis Verschwinden im Studentenwohnheim gesehen wurde.«
Brightman starrte in die Luft. »Ich erinnere mich, dass die Polizei ihn damals erwähnt hat. Eine Studentin will ihn gesehen haben.«
»Sie heißt Dani James. Am ersten Tag meiner Anhörung hat sie ausgesagt. Sie hat auch behauptet, sie habe in der Woche zuvor mit Nazim geschlafen.«
»Das habe ich in der Zeitung gelesen …« Seine Stimme verlor sich, als er die unzusammenhängenden Bruchstücke zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen versuchte.
»Es gibt Hinweise darauf«, sagte Jenny, »dass sich Nazim gegen Ende des ersten Trimesters noch mit einer anderen Frau getroffen hat. Mit einer, die sich sehr gut auf Englisch ausdrücken konnte. Vermutlich können Sie mir nicht sagen, ob es sich um Dr. Levin gehandelt hat?«
Sofort schaute Brightman sie wieder an. »Wie bitte?«
»Ich habe mich nur gefragt, ob sie und Nazim ein Verhältnis miteinander gehabt haben könnten.«
»Haben Sie Gründe für diese Frage?« Seine geweiteten Pupillen wurden von den dicken Brillengläsern noch einmal vergrößert.
»Nazims Mutter hat damals zufällig einen Anruf von einem Mädchen entgegengenommen«, sagte Jenny. »Es ist reine Spekulation, aber wer auch immer sie sein mag, sie weiß möglicherweise etwas über ihn, das wir nicht wissen.«
Brightman schluckte unbehaglich.
Sie hatte irgendetwas gesagt, was ihn berührte, das spürte sie.
»Nun, tatsächlich … Ich habe sie mal zusammen gesehen«, sagte er und räusperte sich. »Dass ich mich überhaupt daran erinnere, hat damit zu tun, dass mir schon einmal jemand diese Frage gestellt hat. Ende 2002 muss das gewesen sein. Mrs. Jamals Anwalt, wenn ich mich recht entsinne.«
Jennys Herz begann zu rasen. »Alec McAvoy?«
Brightman runzelte die Stirn. »Ein Schotte, genau.«
»Er hat Sie gefragt, ob Nazim Jamal und Sarah Levin ein Verhältnis miteinander hatten?«
»Ja«, sagte er schuldbewusst. »Aber alles, woran ich mich erinnern konnte, war dieser eine Vorfall. Es war im Labor
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