Totenstätte
Lächeln. »Eigentlich war es ihre Entscheidung. Ich wollte es dir sowieso irgendwann erzählen. Sie ist schwanger.«
»Oh … Aha.« Sie fühlte sich benommen. »Ich nehme an, da sollte ich wohl gratulieren.«
»Danke. Es war nicht wirklich geplant.«
Jenny schwieg. Obwohl sie es gegen Ende ihrer Ehe eilig gehabt hatte, David zu verlassen, verspürte ein Teil von ihr immer noch Unbehagen bei der Vorstellung, dass es in seinem Leben eine andere Frau gab. Dass Deborah erst Ende zwanzig, attraktiv und mehr als nur bemüht freundlich war, machte die Sache nicht besser.
»Damit wollte ich dich heute eigentlich gar nicht überfallen«, sagte er entschuldigend.
»Du musst dich nicht rechtfertigen.«
Dass er das anders sah, konnte sie an einer plötzlichen Schwermut in seinem Blick erkennen. In der Pause, die nun folgte, hörten sie Ross’ Schritte auf den knarrenden Dielen über sich. Schubladen wurden geöffnet und geschlossen, Schranktüren knallten. Die Geräusche überstürzten Packens.
»Dir ist es vermutlich lieber, wenn ich ehrlich bin«, sagte David.
Sie verkniff sich jeden Sarkasmus. Konnte Unehrlichkeit je vorzuziehen sein? Er ließ es immer so aussehen, als würde sie die Verletzungen, die er ihr zufügte, selbst von ihm fordern. Vermutlich war das eine Technik, die er sich im Laufe seiner beruflichen Karriere instinktiv angeeignet hatte, um sich vom Leiden seiner Patienten und ihrem nicht seltenen Tod zu distanzieren.
David holte tief Luft. »Ross denkt, dass du nicht klarkommst, Jenny. Mit Egoismus hat das nichts zu tun. Erhat einfach das Gefühl, dir zur Last zu fallen. Und wenn er bleibt und sieht, wie du dich abstrampelst, fühlt er sich noch schuldiger.«
»Wie kommt er auf die Idee, dass ich mich abstrample? Ich finde es toll, dass er hier ist …Wir kommen doch gut miteinander aus.«
»Es ist nie etwas zu essen im Haus.«
»Das stimmt nicht.«
»Das ist keine Beschuldigung. Allein würde ich es auch nicht besser hinbekommen.«
»Warum erzählt er mir nichts davon? Wir könnten uns die Sachen doch vom Supermarkt liefern lassen.«
David seufzte und legte eine Hand in seinen sehnigen Nacken. »Jenny, es geht dir einfach nicht gut genug, um dich noch um jemand anderen zu kümmern.«
»Woher willst du das wissen?«
»Er hat mir von der Nacht neulich erzählt. In was für einem Zustand du nach Hause gekommen bist.«
»Ich war wahnsinnig müde.«
»Er musste dir ins Bett helfen. Du kannst dich nicht einmal daran erinnern, nicht wahr? Was war los? Hattest du zu viele Tabletten genommen?«
Aus ihren Händen und Füßen wich jedes Gefühl. Jeder Atemzug strengte sie an. Systematisch brach ihr Nervensystem zusammen.
»Es war spät, das ist alles.«
»Was willst du nur tun, Jenny? Lässt du dir von irgendjemandem helfen? Du wirst es vielleicht nicht glauben, aber ich mache mir Sorgen um dich.«
»Ich gehe zu einem Arzt.«
»Gut. So etwas kann man wieder hinbekommen. Kollegen haben mir versichert, dass …«
»Du redest mit Kollegen über mich?«
»Damals, als …«
Ihr Blick enttarnte seine Lüge.
»Streng vertraulich natürlich. Ich möchte doch wissen, wie man dir helfen kann.«
»Wenn man dich so hört, würde man nicht auf die Idee kommen, dass ich einen verantwortungsvollen Job habe, gerichtliche Untersuchungen führe, trauernde Familien tröste …«
»Ich weiß, dass du das tust. Aber es reicht nicht, alles andere einfach zu verdrängen, oder? Du musst mir nichts beweisen, Jenny, und Geld ist auch nicht das Problem. Ich möchte nur, dass es dir gut geht. Und Ross möchte das auch.«
»Und das ist also eure Methode, sich um mich zu kümmern?«
»Auch wenn du die Probleme anderer Leute löst, verschwinden deine nicht über Nacht.«
Oben wurde eine Tür geschlossen. Ross’ Schritte waren auf der Treppe zu hören.
»Ich soll meinen Beruf aufgeben und alles andere auch, ist es das, was du mir vorschlagen willst?«
»Jetzt sei doch nicht so. Du weißt selbst, was gut für dich wäre. Da habe ich keinen Zweifel dran. Unser Sohn hat seine eigenen Probleme. Er braucht Sicherheit.«
Ross stand jetzt am Treppenabsatz.
»Wir sind hier drinnen!«, rief Jenny, so munter sie konnte, ohne hysterisch zu wirken.
Die Klinke senkte sich. Er schaute herein, blass und elend.
»Hallo, Mum.« Er blickte seinen Vater an.
»Alles okay, Ross. Wir haben miteinander gesprochen.«
Jenny zwang sich zu einem Lächeln. Sagen konnte sie nichts.
»Wir werden etwas wegen der Wochenenden ausmachen«,
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