Totenstätte
Mord war?«
»Das wird in Betracht gezogen.«
»Ich weiß nur, dass sie überzeugt davon war, beobachtet zu werden. Das hat sie auch der Polizei erzählt. Und ungefähr zu dem Zeitpunkt, als sie gestorben ist, hat die Frau des Hausmeisters im Flur einen verdächtigen Mann gesehen. Meine Assistentin hat mit ihr gesprochen. Ich denke, die Frau hat mittlerweile auch eine Aussage gemacht.«
»Ja, das hat sie. Ich wurde gestern über alles Wesentliche informiert.« Er klopfte mit den Fingern auf die Stuhllehne. Widerwillig kam er auf den Punkt. »Hören Sie … Ich weiß, dass die Untersuchung eines Coroners heilig ist, aber die Geheimdienste hoffen trotzdem, dass Sie Ihre Informationen mit ihnen teilen.«
»Es gibt keine weiteren Informationen.«
»Wenn ich recht verstanden habe, dann haben Sie die Anhörung vertagt, um weitere Ermittlungen anzustellen.«
McAvoys Abschiedsworte hallten in ihrem Gedächtnis nach. Sie könnte Sarah Levin, Anna Rose, Madog und Tathum erwähnen, aber was würde dann aus ihrer Untersuchung werden? Man würde sie sich vorknöpfen und sie ebenso zum Schweigen bringen, wie man es mit Mrs. Jamal gemacht hatte. Himmel, sie dachte schon wie McAvoy. Warum erzählte sie ihm nicht einfach alles und schob die Verantwortung auf andere ab?
»Nun?«, fragte Moreton vorsichtig. »Haben die Ermittlungen irgendetwas ergeben?«
»Nein.« Sie hatte spontan geantwortet.
Moreton war enttäuscht. »Das stimmt nicht ganz, Jenny, nicht wahr? Sie haben nach einem Wagen gesucht. Ihre Assistentin hat die Aussage eines Zeugen aufgenommen.«
»Sie haben meine Assistentin ausgefragt? Dazu haben Sienicht das Recht. Meine Untersuchungen sind strikt vertraulich.«
Er hob seine Hände in einer Geste der Unschuld. »Tut mir leid, dass in einer solchen Situation die Regeln ein wenig abgewandelt werden müssen. Aber niemand wird das so gut verstehen wie Sie.«
Trotzig sagte Jenny: »Wenn Sie geschickt wurden, um mir vor der Anhörung Informationen zu entlocken, vergessen Sie es. Gillian Golder und ihre Leute können wie jeder andere auch auf der Zuschauertribüne Platz nehmen.«
»Normalerweise würde ich Ihre Einstellung verstehen, aber in diesem Fall läuft jemand mit radioaktivem Material in der Gegend herum. Wer weiß, was er damit anstellt. Ganz sicher wird er nicht darauf warten, bei Ihrer Untersuchung ertappt zu werden.«
»Ich habe keine weiteren Informationen über Amira Jamals Tod als das, was ich Ihnen schon gesagt habe. Die Sache ist sowieso Angelegenheit der Polizei. Mich interessiert einzig und allein, was mit ihrem Sohn geschehen ist.«
»Ich muss schon sagen, dass ich enttäuscht bin, Jenny. Ich hatte auf ein wenig mehr Entgegenkommen gehofft. Wir befinden uns alle im selben Krieg.«
»Für Ihre Freunde muss es frustrierend sein, dass sie ein paar Türen nicht nach Lust und Laune eintreten können, nicht? Aber das Recht ist schlicht und einfach auf meiner Seite, Simon. Ich habe die gesetzliche Pflicht, eine gründliche und unabhängige Untersuchung durchzuführen, und mir ist nicht klar, was Sie sich dabei gedacht haben, hier so einfach hereinzuplatzen. Sie sollten auf meiner Seite stehen, nicht auf der dieser Leute.«
Moreton nickte geduldig, als hätte ihr Ausbruch ihn zum Nachdenken gebracht. »Ich möchte ehrlich mit Ihnen sein, Jenny. Der MI5 denkt darüber nach, einen Durchsuchungsbefehl für Ihre Büroräume zu beantragen. Im Rahmen der Antiterrorgesetze wäre das durchaus möglich. Sie waren gestern schon kurz davor, aber ich konnte sie davon überzeugen, dass Sie wichtige Informationen freiwillig rausrücken.«
»Und diese Leute würden dasselbe für mich tun? Sie rücken ja nicht einmal die Akten von 2002 heraus.«
»Ich könnte ihnen vorschlagen, dass sie Ihrer Anfrage nachgehen.«
Jenny hätte das Telefon nehmen und in sein feiges, selbstmitleidiges Gesicht schmeißen können, aber sie beherrschte sich. Nicht nur, dass die Geheimdienste, ihrerseits Teil der Exekutive, den Coroner in eine Marionette verwandeln wollten. Schlimmer noch! Ein Mann, der das Prinzip der juristischen Unabhängigkeit schützen sollte, tat alles, um es zu zerstören. All das Gerede von freundschaftlicher Zusammenarbeit zwischen den Bereichen diente nur einem einzigen Ziel: alle Macht den Mächtigen zuzuschanzen. Der Triumph der Einigkeit.
Als sie in Moretons charakterschwaches Gesicht mit seinem oberflächlichen Charme schaute, waren alle Zweifel verschwunden.
»Wenn ich meinen Job nicht mache, wie er
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