Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. R. Hall
Vom Netzwerk:
Fingerspitzengefühl demonstrieren.
    »Können Sie uns denn sagen, ob Nazim je irgendetwas erzählt hat, was vielleicht auf sein späteres Schicksal hindeuten könnte?«
    Sarah dachte sorgsam über ihre Antwort nach. »Er hat nichts erzählt, aber wenn ich an die Zeit zurückdenke, kommt es mir so vor, als wäre er sehr wütend gewesen. Ich bin mir nicht sicher, ob er selbst überhaupt wusste, worauf er wütend war. Er hat all seine Wut in die Religion gesteckt – sie gab ihm ein Ziel und vielleicht auch das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Aber er war auch intelligent, sensibel …«
    »Glauben Sie, dass er ins Ausland gegangen ist?«
    »Ich könnte es mir vorstellen«, sagte sie. »Vermutlich wäre es eine Art Abenteuer für ihn gewesen.«
    »Hat er mit Ihnen je über Rafi Hassan gesprochen?«
    »Ich wusste nicht einmal, dass er existierte, bevor die beiden verschwunden sind. Im Rückblick würde ich sagen, dass Nazim zwei sehr verschiedene Leben geführt hat. Von dem zweiten Leben habe ich nichts mitbekommen.«
    Jenny beendete ihre Befragung, aber der nagende Zweifel war nicht verschwunden. Als Havilland aufstand, um sich von Sarah Levin noch einmal bestätigen zu lassen, dass jeder Kontakt mit der Polizei von ihr ausgegangen sei, fragte sich Jenny, warum McAvoy sein Wissen um die Beziehung zwischen Sarah und Nazim für sich behalten hatte. Seine Erklärung, er habe Mrs. Jamal die Schande ersparen wollen, kaufte sie ihm nicht ab. Stattdessen hatte er Jenny auf eine finstere Verschwörungstheorie stoßen und damit von der Person ablenken wollen, zu der Nazim den engsten Kontakt gehabt hatte. Es war, als würde McAvoy nicht wollen, dass Nazim und Rafi ins Ausland gegangen waren. Viel eher hatte er es auf einen Kampf zwischen Gut und Böse abgesehen, in dem er selbst auf der Seite der Guten stehen würde, um hinterher erlöst zu werden.
    Als Havilland mit seinen Fragen den Ruf der Polizei erneut reingewaschen hatte, erhob sich Martha Denton. Zum ersten Mal an diesem Tag.
    »Ich bin mir sicher, Dr. Levin, dass wir alle hier verstehen, warum Sie Ihre intime Verbindung mit Nazim Jamal bislang nicht erwähnt haben. Vermutlich begreifen Sie aber auch, wie wichtig es ist, dass Sie diesem Gericht alles erzählen, was auf seinen möglichen Verbleib hindeuten könnte.« Sie sprach mit sanfter Stimme, nichts an ihr wirkte drohend oder ungeduldig.
    »Absolut.«
    »Natürlich würde jeder Einblick in seinen damaligen Gemütszustand uns helfen, die Theorie, er sei aus politischen oder religiösen Motiven ins Ausland gegangen, entweder zu bestätigen oder zu entkräften.«
    »Wenn ich etwas dazu sagen könnte, würde ich es tun. Aber ich weiß nicht, was Nazim gedacht hat.«
    »Hat er mit Ihnen nicht über seine religiösen Überzeugungen gesprochen?«
    »Nicht im Detail. Ich wusste, dass er in die Moschee geht, und ich habe Bücher über Politik und Geschichte bei ihm gesehen. Aber wenn ich ehrlich bin, hat mich das nicht besonders interessiert.«
    »Sie hatten nicht das Gefühl, dass er Sie benutzt?«
    »Nicht wirklich.«
    »Sie klingen unsicher … Er war ein radikaler Muslim und hatte Sex mit einer Ungläubigen. Das muss eine schwierige Situation für ihn gewesen sein.«
    »Das war es vermutlich.«
    »Hat er unter Schuldgefühlen gelitten?«
    Sarah Levin sah zu Mr. Jamal hinüber, dem seine innere Qual nun ins Gesicht geschrieben stand. Nach so vielen Jahren unbeantworteter Fragen wurde er plötzlich gezwungen, Einblick in das unbekannte Privatleben seines Sohnes zu nehmen. »Ja, ich denke schon. Aber er war zu rücksichtsvoll, um mich damit zu behelligen. Er muss sich in einem Konflikt befunden haben, das ist ganz klar.«
    »Einem Konflikt zwischen Extremen – war das Ihr Eindruck?«
    »Er war ein leidenschaftlicher Mensch … Wenn man sojung ist, kann man diese Dinge nicht in ihrer ganzen Tiefe ermessen, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, war er wahrscheinlich einfach nur das: leidenschaftlich.«
    »Als er Sie dann versetzt hat, hat er den Kontakt ganz abgebrochen?«
    »Vollständig.«
    »Was glauben Sie, warum er das getan hat?«
    »Seine Religion hat den inneren Konflikt wahrscheinlich gewonnen … Ich war verletzt, habe aber versucht, irgendwie weiterzumachen.«
    »Sie haben uns sehr geholfen, Dr. Levin«, sagte Martha Denton.
    Als wollte er seine Immunität gegen Sarah Levins Schönheit, die nach ihrer Aussage bereits an Kraft eingebüßt hatte, unter Beweis stellen, führte Khan die Befragung in einem

Weitere Kostenlose Bücher