Totenstätte
noch billiger aussehen. Die Chintzsofas im Foyer waren fleckig und durchgesessen, der ausgefranste Teppich mit Klebeband am Boden befestigt. Jenny drückte auf die Klingel an der unbesetzten Rezeption. Ein kleiner, fetter, triefäugiger Mann in einer schmuddeligen marineblauen Weste mit passender Krawatte kam aus seinem Büro. Ein Plastikschildchen wies ihn als Gary aus, er war stellvertretender Hoteldirektor. Seine Verärgerung über die lästige Störung wich, als er eine leidlich attraktive Frau erblickte. Er bedachte Jenny mit einem schleimigen Lächeln.
»Guten Abend, Madam. Was kann ich für Sie tun?«
Jenny reichte ihm die Visitenkarte, die sie bereits dem Mann im Imbiss gegeben hatte, und erzählte ihre Geschichte. Garys Tonfall wechselte von beflissen zu schmeichelnd, als er erklärte, dass die Beschreibung auf keinen seiner Gäste zutraf.
Jenny bemerkte einen gewissen Vorbehalt. »Sind Sie sich ganz sicher? Was ist mit Ihren Mitarbeitern von der Tagesschicht? Gibt es da jemanden, den ich anrufen könnte?«
Er kratzte sich am Kopf und dachte nach. »Ein paar Tage lang war ein Mädchen hier, aber sie hatte schwarze Haare, ganz kurz, fast so einen Bürstenhaarschnitt.«
»Wie hieß sie?«
»Sam, Sarah … irgendwie so.« Er tippte etwas in den Computer. »Da ist sie – Samantha Stevens.«
»Wohnt sie noch hier?«
»Sie hat am frühen Abend ausgecheckt – vor gut einer Stunde.«
Das ergab Sinn. Wenn sie heute Abend noch einmal ihre Nachrichten abgehört hatte, waren vermutlich auch einige von Mike dabei gewesen. Sie würde von dem Amerikaner erfahren haben und dass er sie suchte.
»Haben Sie eine Idee, wo sie hingegangen ist?«
»Sie hat ein Taxi genommen. Ich habe gehört, wie sie es bestellt hat.« Er nickte zu einem Münztelefon, das neben dem Tresen an der Wand hing.
»Hatte sie viel Gepäck dabei?«
»Nur einen Rucksack, glaube ich. Sie schien es eilig zu haben. Hat sie irgendwelchen Ärger?«
Jenny ignorierte die Frage, nahm den Hörer und drückte auf Wahlwiederholung. Am anderen Ende meldete sich eine Mitarbeiterin von PDQ Taxi. Ungeduldig erkundigte sich Jenny, wo der letzte Fahrgast vom Hotel Windsor abgesetzt worden sei, woraufhin die Mitarbeiterin sie mit ihrer Raucherstimme unfreundlich darüber aufklärte, dass es ihr nicht gestattet sei, vertrauliche Informationen über Fahrgäste weiterzugeben.
»Dann formuliere ich es eben anders«, entgegnete Jenny. »Sie haben gar keine Wahl. Ich bin mir sicher, dass Ihr Büroein mieses Loch ist, aber lassen Sie es sich gesagt sein, es ist ganz bestimmt immer noch besser als jede Polizeizelle.«
Gary trat hinter dem Tresen hervor und bedeutete Jenny, ihm den Hörer zu geben. »Lassen Sie mich mal …«
Widerwillig gab Jenny nach.
»Hallo, Julie, meine Süße«, gurrte er. »Ich bin’s, Gary. Ich stehe hier gerade mit einer Dame, Schätzchen, und tue mein Bestes, um ihr zu helfen. Warum sagst du ihr nicht einfach, was sie wissen möchte, sonst müsste ich mir überlegen, in Zukunft ein anderes Taxiunternehmen zu empfehlen.«
Jenny hörte ein missmutiges Grunzen, dann teilte die Mitarbeiterin Gary mit, dass das Fahrtziel der Busbahnhof in der Marlborough Street im Zentrum gewesen sei.
Breit grinsend legte er den Hörer auf und erkundigte sich, ob er sonst noch irgendwie behilflich sein könne. Sein Blick glitt zu Jennys Brüsten hinab.
»Nein, danke. Sie haben mir schon sehr geholfen.« Sie zog den Mantel über der Brust zusammen. »Bis dann einmal, Gary.«
Als sie durch die Tür ging, sah sie sein Spiegelbild in der Scheibe. Er züngelte wie eine hungrige Eidechse.
26
J enny bemerkte die nachtblaue Lexus-Limousine nicht, die sich zwei Wagen hinter ihr hielt, als sie in Richtung Busbahnhof fuhr. Aus dem Schneeregen waren dicke, nasse Flocken geworden, die liegen blieben. In ihrer Scheibenwischanlage war keine Flüssigkeit mehr, und die Lichter der Straße blendeten sie durch die schmutzige Windschutzscheibe. Sie schlängelte sich durch den dichten Verkehr auf dem Haymarket, hätte fast einen leichtsinnigen Betrunkenen angefahren, missachtete rote Ampeln und bog in die Marlborough Street ein.
In einer Halteverbotszone stellte sie den Wagen ab und rannte in den Busbahnhof. Außer ein paar Fahrgästen, die müde an einem Taxistand warteten, war keine Menschenseele zu sehen. Die Busse, die hier noch herumstanden, parkten über Nacht, das Metallgitter vor dem Tickethäuschen war heruntergelassen. Jenny lief zwischen den Bussen umher, aber
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