Totenstätte
den Chef kann ich nicht sprechen.«
Sie versuchte es erneut. »Ich brauche dringend Informationen über diesen Mann mit dem Pferdeschwanz. Sind Sie sich ganz sicher, dass Sie ihn noch nie gesehen haben?«
»Ich arbeite erst seit sechs Wochen hier.«
»Ich glaube Ihnen«, sagte Jenny. »Aber geben Sie mir besser auch noch die Adresse von Ihrem Chef.«
McAvoy saß auf der Motorhaube, hauchte in seine Hände und schaute über den Hof in die offene Autowerkstatt.
»Er ist neu hier«, sagte Jenny. »Ich werde mit dem Besitzer sprechen müssen.«
»Warum versuchen Sie es nicht dort drüben?«, fragte McAvoy. »Der Typ wird ihn kennen – er hat eine Woche lang an seinem Auto herumgebastelt. Ist sinnvoller, als einen Mann zu bitten, sich selbst zu belasten.«
Sie schaute zu der Werkstatt hinüber. Der Mechaniker, ein großer Mann mit muskelbepackten Armen, arbeitete am Auspuff eines Fahrzeugs, das auf einer Heberampe stand. »Bleiben Sie hier.«
Sie ging über den Kies und vermied die Pfützen, so gut es ging. Ihre Schuhe wurden nass, und die schmalen Absätze verkratzten. Trotzdem schaffte es Jenny irgendwie doch noch zum Betonvorplatz und näherte sich der Werkstatt. Sie wusste nie, wie man sich in solchen Betrieben benahm. Sollte sie darauf warten, dass er zu ihr kam, oder sollte sie ihm etwas zurufen?
Aus dem Blick, den er ihr zugeworfen hatte, als sie rüber zur Werkstatt gelaufen war, schloss sie, dass er sie gesehen hatte. Trotzdem ließ er sie stehen und frieren, während er eine weitere Schraube rausdrehte.
»Hallo!«, rief sie gegen ein Radio an, aus dem nonstop Neunzigerjahre-Techno wummerte.
Erst als der Mann seine Arbeit in Seelenruhe beendet hatte, drehte er sich halb zu ihr um und musterte sie. »Was kann ich für Sie tun?«
»Mein Name ist Jenny Cooper. Ich bin der Coroner des Severn Vale District und suche einen Ihrer Kunden. Haben Sie einen Moment Zeit?«
Der Mechaniker steckte den Schraubenschlüssel in eine längliche Tasche an seinem Hosenbein, duckte sich unter der Rampe hindurch und wischte sich seine ölverschmierten Hände an der Rückseite seiner Hose ab. Er war mindestens eins neunzig groß, mit den breiten Schultern wirkte er wie ein Stier.
Höflich erzählte ihm Jenny von dem Mann mit dem Pferdeschwanz, der einen Mark 1 Land Rover fuhr.
Der Blick des Mechanikers huschte zur Tischlerei hinüber, während er sich fragte, wer sie geschickt hatte.
»Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie mir weiterhelfen könnten. Der Mann könnte ein wichtiger Zeuge sein.«
Langsam schüttelte der Mechaniker seinen massigen Kopf. »Keine Ahnung, von wem Sie reden.«
»Sie haben letzten Herbst etwas für ihn gemacht … ein Dach …« Wenn sie mit Handwerkern sprach, bewegte sich Jenny stets auf unbekanntem Terrain. »Einer der lettischen Jungs hat Ihnen geholfen.«
»Mir nicht«, sagte er und wandte sich wieder zur Rampe um.
»Entschuldigen Sie«, sagte Jenny. »Ich weiß nicht, ob Ihnen klar ist, dass es sich um eine ernste Angelegenheit handelt. Ich kann Sie als Zeugen vorladen.«
»Tun Sie das.« Er zückte seinen Schraubenschlüssel und ging an die Arbeit zurück.
»Rechnen Sie mit einer Vorladung. Wir sehen uns Montagmorgen vor Gericht«, drohte sie schwach und wirkungslos.
»Hey, großer Knabe.« Jenny fuhr herum und sah McAvoy über den Kies rennen. »Sie sollten wissen, wen Sie da schützen.«
Jenny warf ihm einen flehentlichen Blick zu, sich rauszuhalten.
Er hob die Hände. »Ganz ruhig.« Dann rief er dem Mechaniker hinterher: »Der Pferdeschwanz ist ein Perverser. Liebt es, kleinen Kindern Farbe ins Haar zu sprühen.«
Der große Mann drehte sich um.
»Das ist die Wahrheit. Ich weiß nichts über Sie, aber an Ihrer Stelle würde es mir nicht gefallen, als Freund von solchen Typen zu gelten. Wenn die Leute zu tuscheln anfangen …«
»Alec, um Himmels willen.«
McAvoy beachtete sie nicht, ging zur Rampe und drückte auf den Knopf, der die Hydraulik in Gang setzte. Der Mechaniker schoss unter der Rampe hervor, den Schraubenschlüssel in der Hand. »Was machen Sie da, verflucht?«
»Ihre Aufmerksamkeit suchen.« McAvoy trat einen Schritt vor. »Vergessen Sie die Karre da, mein Freund. Pech und Schwefel wird sich über Sie ergießen, wenn Sie sich nicht ein bisschen hilfsbereit zeigen.«
Der Mechaniker umklammerte seinen Schraubenschlüssel. Jenny beobachtete die Szene mit offenem Mund. Ihre Kehle schnürte sich zusammen.
»Er hatte es auf ein kleines sechsjähriges Mädchen
Weitere Kostenlose Bücher