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Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. R. Hall
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Stadt hinaus. McAvoy saß ungerührt auf dem Beifahrersitz und genoss die Aussicht. Die Wolken waren stellenweise aufgerissen, und hinter den modernen identischen Reihenhäusern konnte man eine dünne Schneeschicht auf den Hügeln liegen sehen.
    Jenny beschleunigte aus dem Kreisverkehr heraus und jagte den Golf im dritten Gang auf siebzig Meilen hoch. Dann wechselte sie direkt in den fünften. Der Wagen machte einen Satz, als sie die Kupplung zu früh kommen ließ. McAvoy ruckte nach vorn, sagte aber nichts.
    »Benehmen Sie sich immer so?«, fragte Jenny.
    »Sie waren gerade dabei, sich an irgendeinen beschissenen Kundenservice abwimmeln zu lassen.«
    »Unglaublich. Dabei dürften Sie gar nicht hier sein.«
    »Was ist wichtiger?«, fragte McAvoy. »Die Wahrheit zu erfahren oder einen unbeteiligten Typen zu schonen?«
    »Ich bin Coroner, ich kann mich so nicht aufführen.«
    »Glauben Sie etwa, ich war der Erste, der vor dem Typen geflucht hat?«
    »Sie haben ihm Angst eingejagt, verdammt. Und meine Autorität untergraben.«
    »Das haben Sie schon selbst hinbekommen.«
    »Sie haben nicht das Recht, sich in meine Untersuchung einzumischen. Und wenn Sie das nicht verstehen, können Sie auf der Stelle aussteigen.«
    »Sie würden mich nach Hause laufen lassen?«
    »Von mir aus können Sie erfrieren.«
    McAvoy zuckte mit den Achseln, dann musterte er sie von der Seite, als wäre er zu einem Schluss gekommen.
    »Was ist?«, fuhr sie ihn an.
    »Sie müssen ruhiger werden, Jenny. Sie sind ein Nervenbündel.«
    »Ach ja?«
    »Das ist mir schon aufgefallen, als ich Sie vor der Gemeindehalle sitzen sah, so in sich zusammengekauert, als hätte die ganze Sache nichts mit Ihnen zu tun. Damals dachte ich, irgendjemand hat sämtliches Vertrauen aus Ihnen rausgeprügelt.«
    »Wenn ich Ihre Meinung hören möchte, frage ich Sie danach«, sagte Jenny.
    »Warum weinen Sie nicht einfach? Würde die Atmosphäre zwischen uns bereinigen.«
    »Sie können mich mal gernhaben.«
    Das Gefühl der Wut hielt ihre Tränen in Schach. Sie klammerte sich die gesamte Fahrt nach Hereford daran. McAvoy saß provozierend ruhig da und schaute auf die vielen ineinander verschachtelten Felder hinaus. Seine wechselhaften Stimmungen machten ihr Angst. Er erinnerte sie an diese brutalen Typen, die ihre Frauen schlugen. In ihrem alten Beruf war sie ihnen gelegentlich im Gerichtssaal begegnet: Männer, deren Charme ohne Vorwarnung in Gewalt umschlug und umgekehrt. Ihre unglücklichen Partnerinnen hatten stets dasselbe gesagt: Wenn er gut gelaunt ist, ist er der netteste Mensch der Welt . Sie verfluchte sich dafür, dass sie McAvoy je irgendwohin mitgenommen hatte.
    Hereford war eine Stadt, mehr ein Marktstädtchen, das Jenny im Verlauf der Jahre immer mal wieder besucht hatte. Sie hatte miterlebt, wie es sich von einem hübschen, unberührten Ort in ein zubetoniertes, vollgemülltes, charakterloses Nest verwandelt hatte, mit den üblichen Geschäftsketten im historischen Zentrum und amerikanischen Einkaufszentren an der Peripherie. Hereford war ein weiteres Opfer der Kleingeister geworden, die die meisten britischen Städtchen auf dem Gewissen hatten. Nur die tausend Jahre alte Kathedrale und ein paar Straßen in ihrer Nähe hatten ihren Charakter bewahrt, doch auch hier hatten die Kulturbanausen schon zugeschlagen. Eine Pizzakette hatte das viktorianische Postamt übernommen, und ein heruntergekommener Laden mit billigen Plastikschildern hatte ein alteingesessenes Familienunternehmen verdrängt.
    Die Autovermietung befand sich in einer alten Baracke auf einem ehemaligen Güterbahnhof und lag versteckt hinter ein paar Elektro- und Heimwerkermärkten. In dieser trostlosen Umgebung war sie beinahe ein Relikt: St. Ethelbert’s Fahrzeugvermietung. Seit 1962 verkündete das Schild. Von gegenüber war das Getöse einer Mechanikerwerkstatt zu hören, vor der ausgeweidete Fahrzeuge und stapelweise alte Autoreifen lagen. Rechts war eine Tischlerei. Ein paar Arbeiter standen davor und machten Pause. Sie hatten in einem Ölfass ein Feuer entzündet und stampften mit den Füßen gegen die schneidende Kälte an. Die Szene ließ Jenny an ihre Kindheit denken, die sie in einer Kleinstadt verbracht hatte. Vor allem der Geruch nach feuchten Ziegeln, Maschinenöl und brennendem Holz weckte Erinnerungen.
    »Ich nehme an, Sie verzichten auf meine Begleitung«, sagte McAvoy.
    »Was denken Sie?« Jenny stieg aus und ging zum Büro hinüber.
    Ein junger Mann, nicht älter als

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