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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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keuchte. »Glauben Sie wirklich, dass ich dahinterstecke? Aber ich gebe Ihnen recht, es wäre eine Ungeheuerlichkeit, wenn es stimmt. Man müsste es einen inakzeptablen Missbrauch der Macht der Medien nennen. Aber Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, irgendwer stecke dahinter.«
    Der Alte erwies sich als reichlich kurzatmig. Ich bremste meinen Schritt.
    »Schon gar nicht ich. Wenn ich Einfluss nehmen wollte auf die Tagesarbeit der Medienunternehmen, in die ich mein Geld stecke, hätte ich viel zu tun, sehr viel, glauben Sie mir, Frau Nerz. Ich mische mich nicht einmal in die Besetzung der Chefredakteurs- und Geschäftsführerposten ein. Ich stelle nur eine Bedingung: Der Laden muss laufen. Er muss Gewinn abwerfen.«
    Ich fragte mich, ob meine Redaktion mich zu Jahresanfang auf das Thema Geisterjagd und Parapsychologie angesetzt hatte, weil die Groschenkamp-Instanz es vorgeschlagen hatte: »Dieses Jahr machen wir in Parapsychologie. Ich habe da ein Projekt am Laufen, für das ich mediale Begleitung brauche. Sie werden sehen, das gibt ein Mordsgeschäft.«
    »Sie glauben mir nicht«, bemerkte Groschenkamp. Inzwischen standen wir, und er atmete immer noch viel zu kurz. »Sie denken, ich gebe Themen vor. Sie glauben an den bösen Gott, der die Welt steuert. Die meisten Menschen glauben das. Geben Sie es ruhig zu, Lisa. Die Menschen sind dumm. Sie glauben, hinter dem Bösen müsste ein böser Mensch stehen, eine Verschwörung böser Menschen, die die Welt verändern wollen, der CIA , der US -Präsident, ein Medienmogul, ein Topterrorist, Sie wissen, wovon ich rede. Achtzig Prozent der Pakistaner glauben, dass der CIA die Twintowers in New York gesprengt hat. Und auch bei uns gibt es solche Leute. Aber da stecke nicht ich dahinter. Das seid ihr selbst. Ihr Journalisten. Ihr macht das.«
    Mir gefiel nicht, dass er mich ihrzte.
    »Sie als Journalistin, sagen Sie mir: Würden Sie gegen oder für etwas schreiben, weil ein Vorgesetzter es befielt und sich dabei auf mich beruft?«
    »Nein.«
    »Nein«, sagte er gleichzeitig mit mir. »Nein. Sie halten die Pressefreiheit in Ehren. Sie schreiben nach bestem Wissen und Gewissen. Betonung auf Wissen!« Er lachte mit verschleimter Lunge.
    »Verstehe. Sie müssen Ihre Journalisten gar nicht erst auf Linie bringen«, sagte ich. »Sie haben nur konservative Zeitungen und Fernsehsender gekauft, Boulevardmedien, die sowieso die Stammtischthemen besetzen und Ängste schüren. Und mit dem Zwang, Gewinn zu machen, unterstützen Sie die Tendenz.«
    Oiger lachte. »Gut beobachtet, Lisa. Mein Verbündeter ist die Dummheit der Menschen. Und die besondere Dummheit von euch Journalisten. Verzeihen Sie mir, ich will Ihnen nicht zu nahe treten. Aber Sie wissen doch, wie es ist. Ihr seid als Aufklärer angetreten, ihr seid so eifrig, so leicht zu provozieren. Ihr seid alle Pawlow’sche Hunde. Euch läuft der Geifer, wenn ihr bestimmte Schlüsselwörter hört, euch Linken genauso wie den Rechten. Und dann schreibt ihr los. Ihr wollt ein Unrecht aufdecken. Ihr wollt überhaupt aufdecken. Ihr wollt informieren …« Er hob den Finger und krähte es fast. »In-for-miiieren.« Keuch, keuch. »Ihr glaubt, die Menschen müssten wissen, sie müssten informiert sein. Ihr wollt so viel Gutes: aufklären, belehren, die Welt besser machen, den Schwachen Gehör verleihen, zu ihrem Recht verhelfen, ihr wollt kritisch sein, die Mächtigen kontrollieren. Aber ihr werdet kontrolliert von eurem Wahn, zu entdecken, was noch keiner weiß. Keiner von euch will etwas Böses. Manche wollen sogar das Gute.«
    Ein Journalist mache sich keine Sache zu eigen, auch keine gute!, dachte ich. Das war der wichtigste Grundsatz meines ersten Lehrers beim Stuttgarter Anzeiger gewesen.
    »Und ihr tut alle das Gleiche«, fuhr Oiger kurzatmig fort. »Entdecken, aufdecken, Aufreger produzieren. Ihr seht etwas, das sieht nach Unrecht aus. Ein paar Fakten, ein paar Vermutungen, eine große Aufregung. Ob die Geschichte wahr ist, wen schert’s? Niemand kann es beurteilen. Ihr auch nicht. Ihr glaubt ja, ihr wüsstet genau, was Sache ist. Ihr handelt nach bestem Wissen und Gewissen. Aber euer Wissen übertrifft an Weitblick dabei selten euer Gewissen.«
    Er lachte. Er freute sich über die Klausel.
    »Es ist ganz einfach. Glauben Sie mir. Ich muss gar nichts anordnen, ich muss nicht eingreifen, nicht lenken. Es geschieht von ganz allein. Und nicht alles gefällt mir, das müssen Sie mir glauben. Sie wissen doch, wie das läuft. Ihr

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