Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
Mal«, fragte ich währenddessen Groschenkamp, weil uns noch ein längerer Rückweg an den Rosen entlang bevorstand, »den Namen Juri Katzenjacob gehört?«
»Ich habe ihn in der Zeitung gelesen. Er ist der Mörder von Rosenfeld. Entschuldigung, der mutmaßliche Mörder.«
»Geschenkt.« Ich fühlte mich nicht berufen, ihn in diesem Punkt zu korrigieren. »Und Sie bleiben dabei, dass Sie keine Ahnung hatten, dass er von Rosenfeld getestet worden war?«
Oiger atmete aus und sagte dann: »Nein.«
Ich schluckte. »Was, nein?«
Der Alte lachte. »Ich hatte durchaus eine Ahnung. Gabriel hat mir letzten Sommer von einem Mann erzählt, den sie gerade testeten, einem Maler, der in der Burg Kalteneck die Türen strich. Der hatte behauptet …«, Groschenkamp wurde wieder kurzatmig, »… er könne Computersysteme zum Absturz bringen, er könne Maschinen beeinflussen, eine Uhr stoppen und ein Metronom. Sie wissen, die Dinger, die bei Klavierschülern ticken, damit sie den Takt halten. Sie hätten sich auf eine Versuchsanordnung geeinigt, der Maler habe das Verlangte dann aber nicht zeigen können. Doch nachdem er gegangen war, funktionierte das WLAN -Netzwerk im Institut nicht mehr. Sie mussten den Service holen. Gabriel hat mir das nur en passant erzählt. Doch Anfang Januar rief er mich dann an und sagte: ›Wir haben ihn.‹ Mit diesen Worten: ›Es gibt ihn!‹ Er wollte allerdings noch ein paar Tests machen. Man könne nicht vorsichtig genug sein, meinte er. Er wollte Finley McPierson hinzuziehen. Wenn der dem Kerl nicht auf die Schliche komme, so Gabriel, dann müssten wir es akzeptieren. Ich solle mich schon mal darauf vorbereiten, dass wir die Million auszahlen müssten.«
»Hui! Und … äh …«
»Aber er hat den Namen nicht genannt. Es könnte also auch ein ganz anderer gewesen sein.«
»Die Million ist aber nicht ausgezahlt worden?«
»Nein. Zuvor hätte ich von Gabriel eine Dokumentation erhalten müssen. Dazu ist er vermutlich nicht mehr gekommen. Und vermutlich hätte unser Kuratorium weitere Tests verlangt.«
»Und es ist nach Rosenfelds Tod definitiv keiner mit einer Geldforderung an Sie herangetreten.«
»Nun … Ja, es gab schon welche, aber die gibt es immer, die haben sich bei mir beschwert, weil Rosenfeld sie angeblich nicht anerkannt hat. Aber das waren nur die üblichen Spinner. Ich kann Ihnen die Briefe zeigen, falls es Sie interessiert.«
Es interessierte mich. »Das heißt, es läuft jetzt irgendwo einer herum, der sich schwarzärgert, weil Rosenfeld tot ist. Eine Million Euro ist nicht nichts. Das nimmt man schon ganz gern mit, wenn man die Chance dazu hat. Vor allem, wenn man so dicht dran war. Oder wie sehen Sie das?« Wir hatten den Weg zur Terrasse fast geschafft. »Es spricht einiges dafür, dass es Juri Katzenjacob ist, nicht wahr? Er sitzt im Knast. Und es wäre wohl ziemlich unklug, wenn er behaupten würde, Rosenfeld schulde ihm eine Million.«
Wir stiegen die Treppe empor, und ich leinte Cipión an.
»Lisa«, begann der Alte, als wir oben waren. »Sie haben mich jetzt lange genug verhört. Nun darf ich Ihnen eine indiskrete Frage stellen. Was ist Ihr Interesse an der Sache?«
»Ich sagte doch schon, ich habe Rosenfelds Leiche gesehen …«
»Und da spielen Sie jetzt Detektivin? Warum?«
»Ein blöder Reflex.«
»Sie reden nicht gern über sich. Da haben wir schon etwas gemeinsam. Aber warum mischen Sie sich in Sachen ein, die Sie nichts angehen. Glauben Sie, die Welt wird dadurch besser?«
Ich musste lachen. »So ein Käse! Ich glaube nicht an die Besserung der Welt.«
»Woran glauben Sie?«
Es ging ihn nichts an, fand ich. Aber seine Frage appellierte an meine Eitelkeit. Niemand hatte mich bisher gefragt, was ich glaubte und was mich interessierte oder warum ich etwas tat. Nicht einmal ich selbst. »Ich … äh .. ich glaube an die Wahrheit.«
»Ach Gott, was bringt Ihnen die Wahrheit! Die Wahrheit hat die Menschheit noch nie weitergebracht. Es sind die Lügen, die uns beflügeln, der Glaube an Reichtum, an Macht, an … ja, an einen Gott, an die Erlösung durch technischen Fortschritt, meinetwegen auch durch Meditation. Es ist die Lüge vom Glück, die uns antreibt.«
»Die hat nur das Töten beflügelt«, raunzte ich. »Und ich kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn einer den andern umbringt. Ich mag die Herrschsucht nicht, die sich darin offenbart. Ich möchte selbst entscheiden, wie ich lebe und wie lange. Und deshalb werde ich Rosenfelds Mörder die
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