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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Staatskasse im vergangenen Jahr ordentliche hundert oder hundertfünfzig Millionen Euro eingehandelt. Aber Richard hatte schon lange den Eindruck, dass seine Brillanz seinen Vorgesetzten Angst machte. Er war zu schnell, zu sicher, zu konsequent, wo ein gewisser Schlendrian politisch gewünscht war. Man wollte die risikofreudigen Investoren und Geschäftsführer hart an der Legalitätsgrenze nicht aus Baden-Württemberg verscheuchen. Ein bissle Chance auf krumme Geschäfte mussten sie schon haben. Mit der grünen Landesführung mochte sich das ändern. Vorausgesetzt, die konnte sich lange genug halten.
    Wenn ihm solche Gedanken kamen, stand er auf. Außerdem sah er die Chance, mich unter vier Augen zu erwischen. Zwar hätte er stinksauer auf mich sein müssen, andererseits gelang es ihm nicht, Gefühle lange zu konservieren. Und seine Furcht vor meinen Verbalattacken war sehr gering. Es gab nicht mehr viel, was ihn traf und sein Selbstbild knacksen ließ. Im Vertrauen auf ein kleines konspiratives Gespräch, gewürzt mit ein paar feministischen Hieben unter die Gürtellinie, die ihn meines Interesses an ihm versicherten, zog er sich an und begab sich die Treppe hinunter.
    Er sah gerade noch, wie Oiger und ich über die Terrasse in den von Morgentau benetzten Garten entschwanden. Damit war sein Projekt durchkreuzt. Er sah die Tür zu Groschenkamps Büro, gewissermaßen noch warm von kürzlicher Bewegung, und öffnete sie. Als Staatsanwalt durfte er ohne Erlaubnis des Inhabers nichts anfassen. Falls er fand, was er suchte, würde es im Prozess einem Verwertungsverbot unterliegen. Wenn er aber als Begleiter der Tochter des Hauses nach dem Vater suchte und dabei eine Tür öffnete und ein wenig bewundernd verweilte, statt den Raum, der ein Büro war, gleich wieder zu verlassen …
    Die Karte von Groschenkamps Weltreich neben der Tür verstand er sofort. Das Medienimperium. Durchs Fenster sah er mich, wie ich mit dem Alten die Rosen bestrich. Er trat an den schönen alten Schreibtisch heran, tastete die unteren Kanten ab und fasste unter die Schubladen. Ein Schließfachschlüssel war schnell gefunden. Es hätte Richard auch gewundert, wenn Groschenkamp kein Schließfach gehabt hätte. Er ließ die Augen über die verglasten Aktenschränke gleiten. Um einen richterlichen Beschluss zu erwirken und Einblick in die Konten zu bekommen, hätte Groschenkamp Beschuldigter in einem Mord- oder Betrugsprozess sein müssen. Gefahr im Verzug, sprach Richard sich selbst vor, wohl wissend, dass es ein Scheinargument war und er in Teufels Küche kam, sollte das ruchbar werden, und zog den ersten Ordner heraus. Es gab ein Konto, über das die Kleinkredite an Privatpersonen abgewickelt wurden, das Stiftungskonto, drei Privatkonten und etliche Konten für Aktienfonds. Es dauerte, bis Richard sich durchfand, obwohl er reichlich Erfahrung besaß. Mit halbem Auge im Park, wo Groschenkamp und ich im trauten Gespräch auf und ab gingen und Cipión in der von Morgentau glänzenden Wiese Spuren hinterließ, und immer so stehend, dass er den Ordner schnell zurückstellen und die Glastür schließen konnte, scannte er Kontoauszüge und Geldbewegungen. Doch es konnte nicht ausbleiben, dass in einem unbestimmten Moment des sich Vertiefens seine Sinne die Verbindung zur Außenwelt verloren. Ab diesem Moment war Richard eine Zahl, die sich im Zahlenwerk bewegte, Konten wechselte, verschwand und wieder auftauchte, war er Teil der Verschwörung geworden, schaute nicht mehr nach dem Fenster, hörte nicht mehr, was im Haus hörbar gewesen wäre.
    So gelangte ihm zur Kenntnis, dass Oiger Groschenkamp mich gerade draußen in einem Punkt belog. Zumindest legte es die Summe nahe, die Groschenkamp am Mittwoch Ende Januar, zwei Tage bevor Rosenfeld starb, vom Stiftungskonto auf ein Konto der L & P -Bank Zürich überwiesen hatte. Eine Million Euro. Es war dasselbe Konto wie auf der Karte, die Derya ihm und mir am Montagabend gezeigt hatte, die aus dem Buch, das sie von Rosenfeld ausgeliehen gehabt hatte. Demnach hatte Rosenfeld die Ziffern unverschlüsselt notiert.
    Am Freitag der Woche darauf, nachdem Rosenfelds Leiche gefunden und Juri Katzenjacob verhaftet worden war, war das Stiftungskonto durch eine Überweisung von einem von Groschenkamps Privatkonten wieder ausgeglichen worden. Wie auch immer Groschenkamp diese Buchung dem Rechnungsführer der Stiftung erklären würde, sie würde in der Jahresbilanz nicht auftauchen.
    *
    »Von wem haben Sie zum ersten

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