Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
der Frankfurter Buchmesse in dessen Stand gestolpert, kurz bevor ein Wahnsinniger mich erschoss.
    Mein schlaues Telefon verriet mir, dass ich nur das Schulterblatt runter und rüber ins Karolinenviertel gehen musste. Die Glashüttenstraße empfing mich mit Kleinbetriebsamkeit, Gründerzeithäusern in Gassenenge, viel Fußweg, Gusseisenzäunen vor winzigen Vorgärten, dem Café Klatsch , ein paar Läden und Galerien, einem Goldschmied. Der Verlag befand sich in einem Laden im Suttereng, wie man in Schwaben sagt, vier Stufen runter. Im Schaufenster lagen auf Fußknöchelhöhe Bücher, die Unruhe und Aufklärung verhießen. Womöglich würde eines Tages doch auch einmal eines von mir dort liegen. Lisa Nerz in Hamburg. Schräg!
    Der Empfang unten war nach dem ersten Schrecken über den Dackel herzlich. Es gab Kaffee, Kuchen wurde geholt, wir qualmten und quatschten, Else, Iris, Dörte und ich. Ich erzählte von unserer Reise durchs Spukland, wir schütteten uns aus vor Lachen, dann wurden wir ernst.
    »Die Medien überziehen den Globus mit einer Fiktion«, sagte Else. »Wir merken es nur nicht. Doch dann liest du mal was, wo du dich auskennst, und du stellst fest, es stimmt ja gar nicht. Sie haben es nicht verstanden, sagst du dir. Aber ich glaube, es ist ein Prinzip. Es geht gar nicht mehr darum, herauszufinden, wie etwas wirklich ist. Die mögen Angst. Das folgt der Weichenstellung des Neoliberalismus, Ethik ist privater Luxus. Und, hey, das ist jetzt keine Verschwörungstheorie, ja! Wir leben in einem selbstreferenziellen System, in dem das Soziale auch nur Mittel zum Zweck ist, genau wie Wissen oder Wahrheit. Über allem steht der Gewinn. Die Illusionsquote muss mit der Krise steigen.«
    So schüttelte Else mal eben eine perfekte Analyse der Medien aus dem Ärmel, die in ihrer Brillanz wiederzugeben meine intellektuellen Fähigkeiten nicht reichen.
    »Wenn sie jetzt«, sagte ich, »Juri Katzenjacob für alle Katastrophen verantwortlich machen, dann gute Nacht, Deutschland.«
    »Ich stelle es mir gerade vor«, antwortete sie.
    »Das muss man verhindern!«, sagte Iris.
    »Man muss eben beweisen, dass er diese Fähigkeiten nicht hat«, meinte Dörte.
    »Und wenn er sie doch hat?«
    »Glaubst du das wirklich, Lisa?«, fragten sie. »Hältst du das für möglich?«
    »Nein.«
    Das gab uns Luft, weiterzudenken.
    »Wenn er sie hätte«, sagte Else, »müsste man ihn dazu bringen, dass er sie nicht anwendet. Zwingen könnte man ihn dazu ja wohl nicht.«
    »Ich glaube«, sagte ich leise, »ich habe ihn schon einmal bezwungen. Als unser Flugzeug notlanden musste.«
    Keine lachte mich aus. Wir taten mal eben so, als wäre das eine denkbare Variante eines rein zufälligen Ereignisses mit viel Glück im Unglück. Juri hatte die Triebwerke der Maschine zum Stoppen gebracht, und ich hatte sie wieder angeworfen.
    »Psychokinese ist nur dann möglich«, erklärte ich der gebannt lauschenden Runde, »wenn eine Verschwörung stattfindet. Man sagt Verschwörung, weil genau das geschieht, was eine Verschwörung auszeichnet. Eine Gruppe, die sich nach außen völlig abschottet, handelt mit einem gemeinsamen Ziel. Bei der Psychokinese werden Mensch und tote Gegenstände zu Teilen eines Systems. Sie sind synchronisiert wie Quanten. Sie tun dasselbe, sie biegen in dieselbe Richtung ab, auch wenn sie kilometerweit voneinander entfernt sind. Es fließt keine Energie, es wird kein Signal gesendet. Und es geschieht nur, was physikalisch möglich ist. Auch wenn es unwahrscheinlich erscheint. Es werden keinerlei Gesetze der Physik verletzt.«
    Das hatten sie sich noch nie überlegt. Sie hatten überhaupt noch nie über Spukerscheinungen nachgedacht. Warum auch? Man fragt sich eigentlich immer nur, ob man nun glaubt, dass es so was gibt, aber nicht, wie es funktionieren könnte, ohne dass man Gott, die Geister Verstorbener oder die Kräfte extraterrestrischer Mächte zu Hilfe nehmen muss.
    »Wie war das denn, als du die Schmidt-Maschine beeinflusst hast?«, fragte Else. »Wie hat sich das für dich angefühlt?«
    Das war die erste richtige Frage, die mir in der ganzen Geschichte jemand stellte. Ich überlegte. »Es war gar kein Gefühl. Ich habe nicht an mich gedacht, ich habe mich nicht beobachtet. Ich bin eingetaucht und war die Lichter, die im Kreis herumlaufen sollten. Es ist … ja, es ist wie Sex. Wenn es einem kommt, hört man nichts mehr, die Welt ist ausgeblendet. Man denkt nichts. Wenn man beispielsweise denkt, jetzt habe ich einen

Weitere Kostenlose Bücher