Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
konnte ich immerhin verifizieren, dass Finley tatsächlich gut schwimmen konnte. In einem Interview mit der London Times , das etliche Jahre alt war, stand, dass er zu einer Zeit Triathlet gewesen war, als man sich in Europa noch gar nicht für den Ironman-Wahnsinn auf Hawaii interessierte.
Hatten wir unser Iona-Abenteuer also doch allein ihm zu verdanken? Unter vier Freunden ist immer einer der Verräter. Aber was hätte Finley damit erreicht? Dass endlich alle über Parapsychologie redeten?
Das Wochenende verbrachte ich auf der Flucht vor mir selbst, samstags bei einem Konzert in der Röhre und auf dem Frühlingsfest, erst in, dann hinter einem Festzelt (im Zustand fortgeschrittenen Elends) und sonntags mit Cipión und einer Sonnenbrille langsamen Schrittes im Wald.
Der erste Bericht im Kommerzfernsehen entging mir, aber Oma Scheible unterrichtete mich. »Hen Sie des g’sähe? In England hen se Angscht vor’em Hexer, der wo bei uns in Haft sitzt. Der Juri Katze’jacob. In England hat er erscht oin Flugzeug abstürze lasse, ein Erdbebe ausg’löst und jetzet zwoi Züg zammestoße lasse, hen se g’sagt. Älles nur durch Geischteskraft.«
»Unsinn, Frau Scheible«, sagte ich.
»Aber des könnet die doch net erfunde hen. Des wär doch g’loge.«
»Das sind bestimmte Zeitungen und Fernsehsender, die an so was Interesse haben, weil es den Leuten Angst macht und die Auflagen und Quoten steigert.«
Ich irrte mich. Wenige Tage später war das Thema auch im Öffentlich-Rechtlichen angekommen. Das heute journal verkaufte den Bericht als Schmunzler über unsere britischen Nachbarn. In Großbritannien habe jedes anständige Haus einen Geist, behauptete der Moderator, aber was unsere Nachbarn derzeit umtreibe, gehe weit über die natürliche Neigung des Briten zum Spleen hinaus. Der Film berichtete von einem notgelandeten Flugzeug, von einer Computerhavarie auf Ansage, einem Erdbeben, das einer Prognose gefolgt sei, von Juri Katzenjacob, der unter schaurigem Verdacht in einem Stuttgarter Untersuchungsgefängnis sitze und womöglich mit bösen Gedanken Böses schaffe, so zumindest der Glaube vieler Briten. Neuen Auftrieb habe die Furcht vor dem bösen Geist bekommen, als vor vier Tagen in Kent auf offener Strecke zwei Züge ineinanderfuhren – wobei acht Menschen starben –, weil die Signalanlagen versagt hatten. Und nun, so der Bericht, schieden sich die Geister an der Frage, ob ein in Deutschland unter Mordverdacht inhaftierter, mutmaßlich nekrophiler junger Mann für ein Zugunglück verantwortlich gemacht werden könne. »In den britischen TV -Sendern tobt derzeit die Redeschlacht der Parapsychologen, Ghost Busters und Rationalisten.«
Ich schrieb dem ZDF eine zornige Mail. »Ich habe mitgekriegt, wie es anfing«, schrieb ich. Die eigentliche Geschichte sei die, dass die Presse zwei Tage lang mit gut platzierten Falschmeldungen vier unbescholtene Bürger, drei davon aus Deutschland, durch Schottland gejagt und so in die Enge getrieben habe, dass sie fast im Sund von Iona abgesoffen wären. Es müsse bedenklich stimmen, dass ein Detektivbüro für die Groschenkamp-Presse Handys lokalisiere, Computer anzapfe und Leute mit Abhörtechnik ausspioniere. Und breitbrüstig warf ich die Frage auf, warum der Korrespondent, der diese Geschichte als britische Skurrilität erzählte, nicht gemerkt habe, dass der Beginn der Hysterie in der Behauptung lag, dass in den Edinburgh Vaults zwei Parapsychologen zu Tode gekommen seien, die nachweislich nicht tot waren, und dass dafür ein El Tio aus Deutschland verantwortlich sei, ein Drogenpate mit Weltherrschaftsfantasien, den es auch nicht gab.
Darauf bekam ich nie eine Antwort. Niemand wollte von mir die Wahrheit wissen. Dachte ich. Erst viel später habe ich allerdings festgestellt, dass mein Mailprogramm die Mail nicht versendet hatte. Spuk!
In diesen Tagen rief ich auch den Reporter der Allgäuer Zeitung an, der seinerzeit über den Besuch Rosenfelds in Neuschwanstein einen Bericht geschrieben hatte. »Ach ja, richtig, die Fotos«, seufzte er. »Ich habe tatsächlich noch eines gefunden. Da hatte ich einfach in die Menge fotografiert. Es ist die ganze Gruppe um Rosenfeld drauf. Ich schicke Ihnen das Foto jetzt.«
Ich vergrößerte es auf meinem Bildschirm bis zu dem Punkt, wo es in Pixel zerfiel. Im dichten Gedränge derer, die im Innenhof auf den Beginn ihrer Führung warteten, erkannte ich tatsächlich Rosenfeld an seiner Trekkingkleidung. Nur eine Person stand so
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