Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
Muskelaufbau. Rufa führte mich dann in einen Lesbenclub ein, ganz oben an der Carrer Vía Láctica gelegen, der Milchstraße, die das Cap San Antonio bis unter den Kiefernwald hinaufkurvte. Der Club wurde von einer Niederländerin betrieben. Die Frauen sprachen untereinander Valencianisch und ich sagte nicht viel. Ich lernte: Im erzkatholischen Spanien konnte frau Hand in Hand mit einer Frau die Hauptstraße entlanggehen, ohne exkommuniziert zu werden, zumindest in Dénia. Rufa war die Haushälterin von Padre Antonio, und der interessierte sich ohnehin mehr für Fußball. Aber Sex war auch nicht die Lösung.
An den Zeitungsständern der Touristenläden lärmten am achten Tag die deutschen Zeitungen wieder mit riesigen Schlagzeilen. Das Bielefelder Abendblatt berichtete von illegalen Methoden und Schlamperei in der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Hausdurchsuchungen würden zu schnell und zu oft durchgeführt, richterliche Beschlüsse zu spät oder gar nicht beantragt. Insbesondere das Dezernat für Wirtschaftsdelikte unter Leitung von Oberstaatsanwalt Dr. Richard Weber sei bekannt für brutale Razzien gegen Mittelständler und Unternehmer auch bei Fällen, in denen es um vergleichsweise niedrige Summen im fünfstelligen Bereich gehe. Verdächtige würden gegängelt und unter Druck gesetzt, der anwaltliche Beistand ihnen oft über Tage verwehrt.
Oje, oje. Das dem Pedanten in Person!
Im Hotel fand ich eine Nachricht von Dora Asemwald auf meinem Laptop. Sie hatte herausgefunden, dass der Shinobi Pio Janssen nach Berlin gegangen war. Fast gleichzeitig sei er im Netzwerk LinkedIn aufgetaucht, wo er als Arbeitgeber das Detektivbüro SC & D angegeben habe.
Im heute journal , das ich auf meinem Hotelbett online schaute, war von einem »Abhörskandal bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft« die Rede. Man hatte einen Chef einer Gebäudereinigungsfirma aufgetan, der schilderte, wie er von Steuerfahndung und ermittelndem Staatsanwalt – »Ja, das war dieser Dr. Weber!« – bedroht und regelrecht zu einem Geständnis gezwungen worden sei. »Sie kriegen nirgendwo in Deutschland wieder eine Konzession, wenn Sie nicht kooperieren«, so habe die Formulierung gelautet. Ja, sein Telefon sei auch abgehört worden. Man habe ihn mit Aussagen konfrontiert, die er Freunden gegenüber gemacht habe.
Die Pressestaatsanwältin durfte im selben Beitrag erklären, die Vorwürfe seien völlig aus der Luft gegriffen, man erwäge eine Klage wegen Rufschädigung und übler Nachrede. Dazu lächelte sie, und ich dachte: Die kenne ich doch. Ein rotes Busenwunder formierte sich in meiner Erinnerung: Meisners Fünfzigster und das Tischrücken, Nadja Locher, die junge Staatsanwältin.
Von so einer musste Richard sich jetzt das Vertrauen erklären lassen! Er war erledigt. Tot. Ich drückte, ohne nachzudenken, seine Telefonnummer. Aber er nahm nicht ab.
Panik!
Besaß er eigentlich die alte Armeepistole seines Vaters noch? Betrank er sich? Das war der Moment, wo ich bei ihm hätte sein müssen. Würde ich morgen einen Flug kriegen? Oder sollte ich mich besser gleich in den Mietwagen setzen und die zweitausend Kilometer durch die Nacht nach Stuttgart rasen? Wie lange würde das dauern? Achtzehn Stunden wenigstens. Wenn er nicht tot in seiner Wohnung lag, war er dann im Amt.
Ich spielte mit dem Gedanken, Kriminalhauptkommissar Christoph Weininger anzurufen und schnell hinüberzuschicken in die Kauzenhecke, damit er bei Richard klingelte. Christoph hätte gemurrt, aber er hätte es getan. Allein schon, weil es ihm ein innerer Durchmarsch gewesen wäre, seinen Erzfeind geschlagen zu sehen.
Aber ich rief nicht an. Der Link zu meiner Lisa-Welt war gerissen. So kam es mir vor. Womöglich würde Christoph mich gar nicht hören, nicht verstehen, mich schon nicht mehr kennen. Das also war die Konsequenz aus meinem bockigen Entschluss, mal kurz spurlos zu verschwinden, um eine Lücke zu hinterlassen. Aber ich hatte mich geirrt. Ich hinterließ keine Lücke. Niemand fragte nach mir, niemand hatte mir eine Mail geschickt, um zu erfahren, wo ich war. Nicht einmal Sally schien noch an mich zu denken, Richard gleich gar nicht, Meisner nicht, niemand. Ich lebte nicht mehr.
Da gab es nur noch eins: Ich verließ das Zimmer, begab mich an den hoteleigenen Sandstrand, wanderte bis an dessen finsterstes Ende, zog mich aus, ging ins Ende Mai noch eisige Wasser und nahm mir die letzte Freiheit, nämlich die zu ersaufen. Es war zwar unfair Cipión gegenüber, aber auch
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