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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Bundesnachrichtendienst. Der regierte also immer mit.
    Gern hätte ich Richard gefragt, was wir denen da drin eigentlich erzählen wollten. Durften wir den in der Klausur auf Schloss Wartegg mit Obama und Merkel ausgeheckten großen Bluff verraten, oder mussten wir lavieren? Aber Richard kehrte mir den Rücken zu und blickte zum Fenster hinaus auf den Reichstag, in dessen Glaskuppel die Morgensonne ein Feuerwerk entfacht hatte. Ein wie lupengebündelter Strahl traf uns in diesem Augenblick.
    Endlich kam ein rötlich blonder Mann in grauem Anzug, der sich als Hausherr gebärdete. Seine Zunge stieß intern an beim Sprechen, und seine Stimme hielt sich in der Nase auf. Ich kannte ihn, aber wie er hieß, keine Peilung. Er gab uns auch gar nicht die Hand und ließ uns eher unwirsch in eine Art modernen Gemeindesaal mit Knöpfchenlichtern an der Decke, einem rotbraunen ovalen Tisch und halbrunden Bänkchen beim Fenster, in das der Berliner Fernsehturm seine Kugel hielt.
    Es roch nach Kaffee und Diskussionsbedarf.
    Alle Gesichter waren mir lächerlich vertraut. Wie eine Serie von Déjà-vus. Ich widerstand der Versuchung, die Gespenster meines einstigen Fernsehkonsums mit einem saloppen »Grüß Gottle allerseits!« zu grüßen. »Ach, Sie auch hier? Und Sie … fleißig, fleißig.«
    Stattdessen versuchte ich den Raum so schnell wie möglich zu erfassen. Die schwarzen Lehnen, von denen eine fehlte, wo trotzdem einer saß, die fünfstrahligen Stuhlfüße ohne Rollen, Berge und Kinder auf dem mit dickem Pinsel gemalten Bild an der Kopfwand, der goldene Uhrwürfel in der Mitte des polierten Tischs, die Messingglocke zu Händen der Chefin, die Batterien von Wasser- und Saftflaschen zwischen den Sitzenden.
    Es standen zwei Stühle für uns am Ende des Tischs, wo ein weiteres Déjà-vu aus dem Fernsehen saß, das einen Stapel Zeitungen vor sich liegen hatte. Der Pressesprecher. Der regierte also auch mit. Die Titelei der obersten Zeitung lautete: »Der Kampf des Guten gegen das Böse! Wird der Papst ihn gewinnen?« Die Zeitung, die darunter hervorspickte, fragte: »Was passiert bei der Papstrede im Bundestag? Schlägt Katzenjacob zu?«
    Einer mit breitem Schädel und Baseballmütze griff nach der silbernen Thermoskanne neben sich, ließ den Deckel aufploppen und schenkte sich ein. Es pinkelte, die Flaschen klirrten, als er die Kanne zurückstellte und mit einem Finger den Deckel draufdrückte. Er merkte, dass man ihn anschaute – vielleicht war das sogar seine Absicht gewesen –, und hob entschuldigend die Hände.
    Die Chefin erklärte, dass man eben die Lage in Sambata de Sus besprochen habe und bestürzt sei über den Tod einer Geisel, für den man derzeit noch keine Erklärung bekommen habe. Für uns kurz zusammengefasst: Die Lage sei sehr instabil. Präsident Obama habe in einem persönlichen Telefonat den Präsidenten Rumäniens noch gestern Nacht dazu bewegen wollen, den Befehl zur Erstürmung zu geben. Aber dieser habe sich geweigert. Er werde nicht das Leben der rumänischen Staatsbürger, von Frauen und Kindern gefährden, nur weil der Westen zu schwach sei, einen perversen Zigeunerbalg, so seine Worte, zur Hölle zu schicken. Und wörtlich habe er hinzugefügt: »Ich lasse mir von einem Niggerboy nicht dreinreden.«
    »Hammer!«, entfuhr es mir.
    Die Déjà-vus lächelten.
    Merkel rhabarberte noch eine Weile, und ich verguckte mich derweil in die Thermoskanne. Genau solche Dinger hatten wir zu Zeiten meiner Anwesenheitspflicht beim Stuttgarter Anzeiger gehabt. Hatten die nix Schickeres hier als dieses Plopp auf, Plopp zu? Irgendeinen gab es immer, der den Deckel nicht richtig zudrückte.
    Ich fand erst wieder aus dem Bann der Kanne, als die Kanzlerin die Frage stellte: »Katzenjacob wird ja dann wohl heute aus der U -Haft freikommen?«
    Richard zu meiner Rechten holte Luft und sagte: »Ja.« Einen Augenblick schien es, als werde er nichts weiter sagen, doch dann fuhr er fort: »In diesen Minuten wird ein Richter beim Landgericht Stuttgart auf Antrag der Verteidigung den Haftbefehl aussetzen. Und zwar ohne Auflagen. Herr Katzenjacob ist dann frei zu gehen, wohin er will.«
    »Und er kommt hierher?«, fragte der Hausherr mit der Nasenstimme, dem, wie ich später erfuhr, der Bundesnachrichtendienst unterstellt war.
    Richard nickte.
    »Und er plant einen mentalen Anschlag auf den Papst. Richtig?«
    »Er hält sich für den gestürzten Engel Luzifer und will ein Zeichen setzen. Er ist überzeugt, telekinetische

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