Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
»Laudetur Jesus Christus.«
»In aeternum, amen«, antwortete Richard.
Zweifellos wusste man im Vatikan inzwischen alles über ihn, auch dass die lateinische Sprache die einzige Gemeinsamkeit war, die er, der Protestant, mit dem katholischsten aller Katholiken hatte. Deshalb blieb er dabei. »Me miseretur interpellationis – ich bedaure die Störung«, sagte er. »Aber es handelt sich um eine außerordentliche Lage.«
»Loquere – sprich!«
»Danke. Ich setze voraus, dass Eure Heiligkeit über die aktuellen Ereignisse informiert ist. Juri Katzenjacob wird – ungeachtet der Frage, ob er morgen freigelassen wird oder nicht – einen Anschlag auf Eure Heiligkeit verüben, wenn Ihr in Berlin seid, allerdings nicht mit Waffengewalt, sondern mit Geistesgewalt.«
»Wir warnen vor der allzu intensiven Beschäftigung mit dem, was sich Paranormalität nennt«, erwiderte Benedikt. »Der Glaube ist Paranormalität genug und einzig geeignet, den Ängsten und Gefahren zu begegnen im Vertrauen auf Gottes Macht.«
»Zweifellos«, sagte Richard und begann sich in Kreisen dem zu nähern, was alle des Lateins kundigen Ohren an weiteren Telefonanschlüssen mithören würden. Richard hätte das Gespräch weit mehr genossen, wenn seine Blase etwas weniger Druck gehabt hätte. Er fand Ratzingers Geist schnell in der Auffassung, wenn auch unüberhörbar eitel, sobald ihm eine intellektuelle Rückkehr ins uralt Ewige gelang. Ein einsamer Mann, dachte Richard, allein mit seiner großen Liebe zu Jesus Christus, deren Erwiderung ihn zu wundern und, mehr noch, fast zu Tränen zu rühren schien.
»Ich möchte und muss sicherstellen«, endete Richard, »dass Ihr mit einer überraschenden Manifestation rechnet und gewärtig seid, dass man sie in der öffentlichen Wahrnehmung als die Aktion eines bösen Geistes gegen Eure Heiligkeit ansehen wird. Man wird erwarten, dass Eure Heiligkeit ihm die göttliche Macht entgegenhält.«
»Wollen Sie andeuten, wir hätten uns auf ein Spiegelgefecht mit einem selbsterklärten Satan einzulassen?«
»Wie Eurer Heiligkeit zweifellos bekannt ist, werden in Rumänien seit Samstagnacht neunundfünfzig Menschen in einem Kloster als Geiseln gehalten.«
»Wir fühlen mit den Kindern und deren Eltern in ihrer unaussprechlichen Angst. Wir beten für sie.«
Richard lächelte grimmig in den Hörer. »Ich verstehe durchaus, dass Eure Heiligkeit sich nicht auf ein ungewisses Spiel einlassen möchte, das für die katholische Kirche verloren gehen könnte. Aber die Welt wartet auf ein Zeichen, das dem Spuk ein Ende setzt. Miserere nostri, Benedictus, erbarme dich unser.«
Stille.
»Was soll ich tun?«, fragte Josef Ratzinger.
»Es wäre hilfreich, wenn Eure Heiligkeit im Moment des Schreckens und der allgemeinen Erregung furchtlos und im Vertrauen auf Gott gelassen bliebe.«
»Da kann ich Sie beruhigen. Ich bin ein alter Mann, ich kann nicht mehr herumspringen.«
»Gratias vobis ago – ich danke euch.«
»Si deus pro nobis, quis contra nos!«
Sie schieden im Geist der Verschwörung, und Richard eilte, um zu pinkeln. Beim Händewaschen fragte er sich, ob Ratzinger seinen eigenen Sprüchen mehr glaubte, seit er Papst war. »Wenn Gott mit uns ist, wer kann dann gegen uns sein!« Ja wer? Der Mensch immer.
Da meldete sein Handy ihm eine Eilmeldung der Tagesschau : »Geiselnehmer in Sambata erschießen Geisel und werfen Leiche aus dem Fenster.«
Richard musste sich kurz gegen den Handtuchspender lehnen. Warum nur? Warum? Aber er wusste es.
Er schüttelte den Anflug von Schwäche ab, eilte ins Kellerbüro zurück und griff nach dem Telefon, das im selben Moment läutete.
Der Mann im Außenamt bestätigte Richards Befürchtungen. »Es ist eine Warnung. Wir haben eine Nachricht der Geiselnehmer. Sie sind aufgeschreckt durch den Haftprüfungstermin. Sie befürchten, Katzenjacob wird freigelassen und wir können ihn dann nicht mehr ausliefern.«
»Und eine Erstürmung?«
»Lehnt der rumänische Präsident rigoros ab, zumindest zu diesem Zeitpunkt.«
Sie arbeiteten drei Stunden daran, über die Außenministerien und über russische und rumänische Geheimdienste die Nachricht zu lancieren, dass Katzenjacob am Donnerstagabend aufgehört haben würde zu existieren.
*
Den Weg zu mir fand Richard an diesem Abend nicht. Ich wäre auch gar nicht zu Hause gewesen. Ich saß mit Dora Asemwald hinter einer Wand von Bildschirmen in ihrer Galerie, die gar keine war, sondern ein Grafikbüro, und guckte Filme von
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