Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
dabei.«
»So?« Finley schlitzte die Augen.
»Frau Dr. Barzani ist die Einzige von uns, die ihn kennt«, sagte ich.
»O nein! Wer achtet schon auf Malergesellen«, rief sie. »Ich jedenfalls nicht. Mit Müh und Not habe ich ihn auf den Zeitungsfotos im Nachhinein wiedererkannt. Aber eine sonderlich einnehmende und offene Person war er demnach wohl nicht.«
»Er ist eher verdruckt«, bestätigte Richard. »Das haben mir die Kollegen erzählt. Er macht keinerlei Einlassung zum Tathergang. Er schweigt.«
Finley wandte sich ihm zu, mit einer raumbeherrschenden und zugleich charmanten Geste, die es mir leicht machte, ihn mir als Magier im wallenden Gewand vorzustellen. »Was meinen Sie, Richard, ist es unter diesen Umständen notwendig, dass wir Einblick in die Klarnamen der Kalteneck-Akten nehmen?«
Richard reagierte grundsätzlich langsam. Er ließ Pulverdampf und Staubfahnen stets Zeit, sich zu verziehen. »Doch, ja«, sagte er nach einer Weile fingierten Nachdenkens. »Ich würde die Namen gern sehen. Ich kann nicht sagen, was ich erwarte, aber ich habe das Gefühl, es könnte nützlich sein.«
»Aber sagten Sie nicht, Sie ermitteln in diesem Fall gar nicht?«
Gut aufgepasst, Finley. Aber das war sein Job.
Richard lächelte entwaffnend. »Mir graust es bei Mord und Totschlag. Ich bin Wirtschaftsstaatsanwalt. Ich kann gut mit Zahlen. Darum hat man mich geschickt. Psi-Experimente haben viel mit Statistik zu tun. Oder gibt es da noch ein anderes Problem? Dürfen Sie mir die Namen nicht zeigen? Hat ein Sponsor da seinen Daumen drauf?«
»Nicht dass ich wüsste«, erwiderte Finley wachsam.
»Wenn Sie wollen, sichere ich Ihnen an Eides statt meine absolute Verschwiegenheit zu.«
»Oh, I love the Germans! Immer so korrekt.« Grinsend setzte Finley sich an seinen Schreibtisch. »Dann schauen wir mal, ob die Computer inzwischen wieder … Nein. Vielleicht haben wir später mehr Glück. Alternativ schlage ich vor, ich zeige euch das Institut. Und anschließend statten wir den berühmten South Bridge Vaults einen Besuch ab.«
Derya lachte resigniert. »Da kommen wir nicht drum herum, fürchte ich. Finley führt alle dorthin, die ihn zum ersten Mal besuchen.«
»Was ist das denn?«, fragte ich. Vaults sind Gewölbe, lieferte mir meine alte Erziehung zur Fremdsprachensekretärin immerhin zu.
»Es wird Ihnen gefallen, Lisa«, sagte Finley. »Es ist the most haunted place in Edinburgh . Sehr spooky . Wir können zu Fuß hingehen. Es ist nur eine knappe Meile von hier. Ich verspreche Ihnen, Sie werden jede Menge Geister treffen.«
24
Als wir vier gegen halb sechs das Haus verließen, hatten sich schon Fäden gesponnen. Finley hatte gemerkt, dass der elegante Staatsanwalt zwar zwei Kopf kleiner war als er, aber an Verstandeskraft und Schlauheit locker mithalten konnte und damit bereits die Gunst der schönen Derya erworben hatte. Also interessierte er sich mehr für mich, weil ich mich momentan etwas an den Rand gedrängt fühlte. Außerdem kam seine lachende Art bei mir besser an als bei den andern beiden. Seine verbrillten blauen Augen ruhten immer wieder auf mir.
»Und Sie?«, erkundigte er sich, als wir das Universitätsgebäude umrundeten, wo moderne Häuser die gotische Düsternis der Stadt vorübergehend vergessen machten. »Sie glauben an Spuk oder sind Sie Skeptiker?«
»Ich bin selber ein Gespenst«, verkündete ich. »Aber ich glaube nicht an mich.«
Finley lachte anerkennend und nickte mit dem Kopf halb hinter sich. »Ihr Begleiter, der glaubt.«
»Nein, never!«
»Da kennen Sie ihn aber schlecht. Tief in seinem Herzen befürchtet er, dass es Dinge geben könnte zwischen Himmel und Erde, die sich seiner Kontrolle entziehen.« Finley schwang seine Kamelbeine ungelenk, aber vergnügt den Fußweg entlang. Bald schon hatten uns die vielstöckigen dunklen Steinhäuser der Altstadt mit ihren Kaminschloten eingefangen. Verputzt und gestrichen waren immer nur die Erdgeschossfassaden. Gern in schweren Farben. Die South Brigde war eine von fünf Brücken, welche die sieben Erhebungen von Edinburgh verbanden, als Brücke aber nicht mehr zu erkennen. Sie erschien als Straße im Schacht schwärzlicher Häuser. Finley erklärte, dass unter ihren mittlerweile verbauten neunzehn Stützbögen um achtzehnhundert Räume für Händler entstanden waren. Später pferchte man dort Obdachlose hinein, und Verbrechen und Krankheit hielten Einzug. Schon dreißig Jahre später gab man die stinkenden Unterkünfte wieder auf.
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