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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Sie gerieten vollständig in Vergessenheit, bis 1985 ein Neugieriger eine Mauer durchbrach. Inzwischen veranstalteten die Ghost Finders Scotland hier Führungen, meist um Mitternacht. Ohne diese Zwischenhändler des Grauens kam man dort nicht hinein. Finley besaß jedoch einen Schlüssel für das eiserne Gittertor in der Niddry Street, eine spelunkige Gasse, die uns einen Vorgeschmack auf die prekäre Enge der Unterwelt gab. Neben die Rundbogentür war ein Schild geschraubt, das es bei Androhung von vierzig Schilling Strafe verbot, das Törchen unverschlossen zu lassen.
    »Ja so! Laufen die Gespenster davon?«
    Finley lachte. »Die Geknechteten wollen Freiheit. Was sind unsere Gespenster anderes als Sklaven des Tourismus. Von den Einnahmen sehen sie keinen Penny. Aber sie müssen arbeiten.« Er zog drei LED -Lampen aus seiner Cordjacke und verteilte sie. »Die Beleuchtung fällt gern einmal aus. Das steigert den Gruselfaktor. Seid ihr bereit? Niemand schwanger, keine Herzfehler? Dann los!«
    Er verschloss das Gittertor hinter uns. Wir tappten schiefe Stufen in ein geziegeltes Tonnengewölbe hinunter. Die Luft stand. Hin und wieder war eine Laterne in die Wand geschraubt. Kabel liefen die Tunnel entlang, an einer Ecke hing ein Feuerlöscher. Anfangs fiel gelegentlich noch Licht durch ein Loch im Gemäuer ein. Cipión röchelte im Halsband. Er zog immer wie nicht gescheit, wenn er den Ort, an dem er sich befand, so schnell wie möglich verlassen wollte. Seine Rute hing tief. Es gefiel ihm nicht.
    Unser schottischer Meister der Geister erklärte uns begeistert die Geheimnisse der Anlage unter der Südbrücke. Sie war tausend Fuß lang und ging an der tiefsten Stelle bis zu vier Stockwerke hinunter. Man hatte Handwerksinstrumente gefunden, Alltagsgegenstände, Kinderspielzeug. In den Kammern hatten ganze Familien gehaust. Aber wirklich archäologisch erforscht hatte man die Elendsstadt unter der Brücke nie. »Nur die Geisterjäger interessieren sich dafür«, sagte Finley. »Und wir von der KPU haben hier interessante Experimente gemacht.«
    Hm, hm. Es stank. Und irgendwo klopfte es.
    »Da ist wohl eine Gruppe unterwegs«, hörte ich Derya hinter mir zu Richard sagen.
    Er antwortete nicht.
    »Und nun nähern wir uns«, sagte Finley, »dem most haunted Raum der Anlage. Hier sollen besonders handgreifliche Geister hausen.« Er drehte sich um. »Richard, Sie sollten darauf achten, dass Sie den Raum nicht gleichzeitig mit Lisa betreten. Und Sie, Lisa, sollten nicht neben Ihrem Schatz stehen. Die Geister mögen die Liebe nicht, sie sind sehr eifersüchtig.«
    Derya lachte.
    Es war ein nicht weiter auffälliges stickiges Gewölbe mit einer einzigen Lampe. Ich stellte mich an die Wand Richard gegenüber, obgleich ich entschlossen war, die Existenz des eifersüchtigen Gespensts nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen, zumal Cipión nichts Außerordentliches wahrzunehmen schien. So kam Derya neben Richard zu stehen.
    »Hier haben wir unsere Versuche gemacht«, erklärte Finley. »Wir wollten herausfinden, wann und warum wir Geister spüren und sehen. Wir …«
    Er unterbrach sich, denn Richard war plötzlich wie geschubst nach vorn getreten, hatte sich an den Rücken gegriffen und umgedreht. Mit der Taschenlampe leuchtete er das Wandgemäuer ab.
    »Hat der Geist Sie gezwickt?«, fragte Finley.
    »Ich habe einen Stoß in den Rücken bekommen«, antwortete Richard. »Zumindest fühlte es sich so an.«
    Und Derya stand neben ihm!
    Finley blinzelte mir zu. »Ja, es trifft immer den, der nicht damit rechnet. Da ist das Überraschungsmoment am größten.«
    Richard gab einen unwilligen Laut von sich.
    »Wir hatten in unserer Testreihe auch so einen. Er wirkte auf uns alle unerschütterlich. Aber schon Minuten allein und in absoluter Dunkelheit hörte er es dort in der Ecke atmen und sah ein rotes Glühen. Er bekam solche Panik, dass wir abbrechen mussten.«
    Richard hörte nicht zu. Er beugte sich vor und rieb im Schein seiner LED mit dem Finger am Stein.
    Derya näherte ihre Nase ebenfalls der Stelle. Ich überlegte, ob ein kleiner Fußhebel gegen ihre schlanke Fessel als Gespensteraktion durchgehen würde, und versuchte einen Blick zu erhaschen. Richard machte einen Schritt zur Seite. Seine Lampe geisterte über die Ziegel. Finley trat zwischen Richard und Derya. Jetzt sah ich wieder nichts mehr.
    »Ein Steinmetzzeichen«, bemerkte Derya.
    »Seltsam«, sagte Finley. »Wir haben hier unten mit Dutzenden Probanden und einem

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