Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
aufgrund von Uneinigkeit zwischen Sympathicus und Parasympathicus. Daraus folgt Vagus-Tod oder Stress-Verdursten. Vermutlich ist Juri Katzenjacob ein Tantrik.«
Wir schwenkten hinüber zum Bishop’s House: Bed & Breakfast, aber kein Héctor Quicio.
»Soso«, antwortete Richard. »Der Junge aus Sigmaringen ist zehn Jahre lang bei einem indischen Meister in die Schule gegangen.«
»Steht er denn nun auf der Kalteneck-Liste?«
Meine Frage kam so schnell, dass sogar Richard nicht mehr imstande war, eine Reaktion zu unterdrücken. Er nickte kaum merklich oder tat zumindest etwas, was ich bei ihm als mimische und gestische Bestätigung zu werten gelernt hatte.
»Übrigens«, redete ich mit vordergründig halber Intelligenz, während die andere Hälfte im Hirn herumwuselte und zu verstehen versuchte, was das bedeutete, »musst du den Mord an Rosenfeld nicht auf dich nehmen, Richard. Derya glaubt insgeheim, dass Rosenfeld schwul war. Daraus schließe ich, dass sie nichts mit ihm hatte. Am Wochenende pflegte er, sagt sie, mit einem geheimnisvollen Freund in den Bergen zu wandern. Gern im Tannheimer Tal. Am Wochenende seines Todes wollte er mit Finley ins Allgäu und nach Neuschwanstein, auch wenn Finley behauptet, ihr Ziel sei Schaffhausen gewesen.«
»Reine Spekulation, Lisa.«
Im Iona Hostel war der Spanier auch nicht abgestiegen.
»Dann hat die Polizei also bislang keinen Wanderfreund ausfindig gemacht, der irgendwo in Ulm wohnt.«
»Nein.«
»Vielleicht hatte er doch was mit der Sekretärin Desirée!«
»Zumindest ist sie schwanger.«
Das überraschte mich jetzt nicht wirklich. »Von wem?«
»Sie sagt, von ihm.«
»Dann war sie es. Sie hat ihn mit dem Käsebrötchen vergiftet, das sie beim Bäcker geholt hat. Und zwar weil er sie und das Kind nicht haben wollte.«
»Ja, klar. Die Frau von heute hat Gift immer im Handtäschchen dabei.«
»Rohypnol zum Beispiel, die klassischen K.o.-Tropfen. Zusammen mit Alkohol, und den hatte Rosenfeld im Magen, macht es innerhalb von zwanzig Minuten bewusstlos. Bei Überdosierung kommt es zum Atemstillstand. Und gerade Flunitrazepam, also Rohypnol, kann man beim Screening schlecht nachweisen. Wenn die Leiche zwei Tage lang herumliegt, ist es, schätze ich, aussichtslos.«
Das Argyll Hotel hatte leuchtend blau bemalte Fensterrahmen. Auch dort war der Spanier nicht abgestiegen.
»Wo sind eigentlich die Leute alle?«, fragte ich mich laut.
»Beim Abendessen.«
Außer uns war niemand auf der Gasse. Falsch: Vor dem Post Office stritten sich zwei. Ich erkannte das Paar aus dem schwarzen Van. Sie gestikulierte, er blickte missmutig drein. In der Hand hielt er eine Kamera mit großem Teleobjektiv.
»Das sind die vom Loch Awe«, erklärte ich Richard, »aus dem Auto, in das ich fast hineingelaufen wäre. Du erinnerst dich.«
Richards Blick ging hinüber. »Unsinn.«
»Es sind Reporter von den Edinburgh Evening News . In ihrem Auto liegt eine Visitenkarte. Fragen wir sie doch mal gleich, was sie hier suchen.«
»Warte, Lisa«, sagte er.
In diesem Moment nahm der Mann die Frau am Ellbogen, drehte sie dem Gässchen zu und ging mit ihr davon. Egal. Wir würden sie unweigerlich wiedertreffen.
Die meisten der unerwartet vielen Gästeunterkünfte auf dem Inselplan hatten nur zwei bis drei Zimmer. Auf Ionas Straßen kann man außerdem immer nur umkehren. Weiter oben neben dem Iona Cottage gab es den einen Store, den nach meiner bisherigen Erfahrung jedes Dorf besaß. Er hieß Spar Shop.
Richard kaufte die Edinburgh Evening News , und ich erstand ein Anglermesser. Von hier ging die Straße südwestlich hinaus ins Zentrum der Insel. Dort befanden sich laut Inselplan auch noch einige Unterkünfte. Das Clachlan Corrach lockte mit Westblick auf den Atlantik und Ostblick auf Mull. »Was meinst du, wie weit das ist?«
Richard blickte in den Wind. »Ein Kilometer.«
Cipión stand mit hängenden Ohren und hängender Rute. Ihm reichte es längst. Kurze Beine wollen nicht weit laufen.
»Kehren wir um?«
Richard hörte nicht, er schlug die Zeitung auf. Auch der Wind zeigte Interesse. Aber Richard hatte viel Übung, einer Zeitung ihren Inhalt abzutrotzen. Übrigens sprach er dabei nicht gern. Er war nicht der Mann, der mich beim Frühstück mit den Skandalen der Landespolitik und Todesfällen behelligte. Falls wir mal zusammen frühstückten.
»Das gibt’s doch nicht!«, rief er.
Er meinte nicht die bislang unerklärliche Havarie in Teilen des globalen Netzwerks, die, wie ich den
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