Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
Schlagzeilen entnahm, für chaotische Verhältnisse auf Flughäfen und Bahnhöfen sorgte, die Börse lahmgelegt und sogar die Nachrichtenredaktionen selbst ihres Inputs beraubt hatte.
»Professor Finley McPierson ist in den Vaults gestorben!«, sagte Richard verwundert. Er las, redete und übersetzte simultan. »Er ist seit gestern Abend verschwunden, nachdem er mit Gästen zu den South Bridge Vaults aufgebrochen war. Vermutlich ist er in einen Brunnen gestürzt. Vermisst werden außerdem die deutsche Psychologin Dr. Barzani und zwei weitere Personen.«
»Ah, dann sind wir jetzt Gespenster!«
Richard hatte keinen Nerv für dumme Scherze. »Anscheinend hat sich gestern Abend außerdem giftiges Gas in den Gewölben ausgebreitet. Steht hier. Methan, genauer gesagt.«
»Deshalb ist uns die Luft so knapp vorgekommen. Aber riecht man das nicht?«
»Methan ist geruchlos und hochexplosiv. Ein Funke und es hätte wie im Bergwerk zu einer Schlagwetterexplosion kommen können. Woher das Methan stammt, ist unklar, steht hier, aber geringe Methankonzentrationen misst man immer wieder in den Gewölben. Fäulnisprozesse unter Luftabschluss. Die schreiben, heute Morgen sei einem der Fremdenführer aufgefallen, dass der Strom abgestellt war. Glücklicherweise, denn hätte er den Lichtschalter betätigt, hätte es eine Explosion geben können. Die Stadt sei möglicherweise knapp einer Katastrophe entkommen, behaupten die hier.«
»Und die Leichen?«
»Die Feuerwehr war bis zum Mittag damit beschäftigt, die Luft abzusaugen und die Methankonzentration zu senken. Danach hat man Such- und Rettungstrupps losgeschickt. Und«, Richard schauderte, »kurz vor Redaktionsschluss ist man auf einen offen stehenden Brunnenschacht gestoßen, in dem nun die Leichen von McPierson und Barzani vermutet werden. Warum man sie dort vermutet, steht hier nicht.«
»Aber … wir haben doch den Brunnen wieder zugemacht.« Ich hetzte mit meinen Gedanken hinterher. »Das kommt mir vor wie … wie vorbereitet. Gib mir mal.«
Er gab mir das Blatt. Neben dem Artikel befand sich ein Foto von Finley McPierson. »Die Polizei«, endete der Artikel, »sucht nach den beiden weiteren Personen, die sich in Begleitung der Geisterforscher befunden haben sollen. Wie und warum sie dem Gas entkommen konnten, warum sie die beiden Wissenschaftler nicht gerettet und auch nicht die Polizei verständigt haben, ist noch unklar.« Ein Polizist wurde mit dem Satz zitiert: »Eine sehr mysteriöse Sache. Womöglich wurde hier ein Verbrechen begangen.«
»Ja, Kreuzdeifel! Na warte!« Ich schaute mich um, ob die beiden Gestalten von den Edinburgh Evening News irgendwo herumlungerten. Aber die Straße war leer.
Richard blickte finster vor sich hin. Sein Gehirn war besser als meines bei der raschen Folgenabschätzung. Es arbeitete.
»Spätestens morgen ist klar, dass es eine Falschmeldung ist«, sagte ich. »Und jemanden totsagen, der am andern Tag dem Konkurrenzblatt feixend ein Interview gibt, das ist der GAU für jede Zeitung!«
»Oder es ist … es ist eine Warnung«, sagte Richard bedächtig.
»An wen?«
Abrupt wandte er sich Richtung Hotel und marschierte los. Ich hob Cipión vom Boden hoch, klemmte ihn mir untern Arm und lief hinterher. »He, Moment! Wie meinst du das?«
»Finley und Derya sind so gut wie tot. So meine ich das, Lisa.«
»Warum die beiden, warum nicht wir?«
»Weil sie Geisterforscher sind, Lisa. So wie Rosenfeld.«
Tatsächlich wäre Finley schon gestern tot gewesen, wenn wir ihn nicht abgefangen hätten, als er in den offenen Brunnenschacht trat.
»Was hast du jetzt vor, Richard?«
»Zu Abend essen. Und wir müssen überlegen, wie wir möglichst unauffällig die Insel verlassen können.«
Das Gefühl, dass er mehr wusste, als er sagte, wurde übermächtig in mir. Warum hatte er von all den Zeitungen, die der Laden anbot, ausgerechnet diese gekauft? Wieso nicht die Times ? Oder die größte britische Boulevardzeitung Evening Image ?
»Sag mal, Richard … He warte! Wer …«
Er drehte sich um. »Und vorerst kein Wort zu Finley und Derya, hörst du, Lisa! Sie fangen sonst bloß an zu telefonieren. Und dann …«, er stockte kurz, »… wissen sie, wo wir sind.«
»Das wissen sie sowieso. Die Reporter von den Edinburgh Evening News sind doch schon hier.«
»Aber dann wüssten sie, dass Finley und Derya am Leben sind.«
»Stimmt. Oder auch nicht. Reporter lesen ihre eigene Zeitung nicht, wenn sie unterwegs sind.«
Richard schaute mich
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