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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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zweifelnd an.
    »Glaub mir, das eigene Blatt ist nicht immer die Lieblingslektüre von Journalisten. Und die beiden sind auf jeden Fall wegen uns hier. Sie sind vorhin an der Post vor uns geflüchtet. Und auf dem Schiff haben sie betont woandershin geschaut. Sie haben uns von Edinburgh aus verfolgt. Sie wussten, dass wir nach Iona wollten. Womöglich waren sie es, die eigenhändig die Mail von Héctor Quicio gefakt haben, um uns hierher zu schaffen! Aber warum?«
    Er zuckte mit den Achseln.
    »Wer lässt Finley und Derya totschreiben? Wer will zumindest ihren soziokulturellen Tod, Richard? Wer steckt dahinter?«
    »Diese beiden kleinen Reporter jedenfalls nicht«, sagte er.
    Wir hatten das St. Columba Hotel fast erreicht. Finley stand vor der Tür und winkte uns zu.

28
    Zum Dinner gab es eine Rinderbrühe, eine halbe Languste mit Salat und Hammel mit grünen Bohnen, Yorkshire-Pudding und einer grünen Sauce mit Spearmintgeschmack, der es mir unmöglich machte, den Bissen runterzuschlucken. Kaugummi schluckt man nicht runter. Nur wohin damit? Ich kam schließlich auf die Idee, mich würdevoll auf die Toilette zu begeben und den Kaugummi in die Schüssel zu spucken.
    Richard schwieg bis aufs kommunikationsrelevante Mindestmaß. Finley berichtete von seiner Erstürmung des Dùn Ì, der sich hinter der Abtei erhob. »Man hat einen wunderbaren Blick von da oben!« Derya bemerkte, die Zimmer seien sehr hell und freundlich. Von der Erstürmung der Dusche erzählte sie nicht. Das ist der Unterschied zwischen dem, was Frauen, und dem, was Männer erleben.
    »Ich würde gern das Grab von Macbeth sehen«, sagte ich, um irgendwas zu sagen. Darüber lachte Derya.
    Das Grab war, belehrte mich Finley, unter den verwitterten Grabsteinen der schottischen Könige nicht mehr zu identifizieren. »Die Kenntnis des genauen Orts ist über die Jahrhunderte verloren gegangen. Es ist beängstigend, wie schnell Wissen verschwimmt. Hundert Jahre reichen. Deshalb beharren Religionen so verbissen auf Wort und Schrift. Andernfalls wüssten schon unsere Kindeskinder nicht mehr, wie dieser Knilch hieß, den man irgendwo ans Kreuz genagelt hat.«
    Zum Nachtisch gab es gedeckten Heidelbeerkuchen aus hoteleigener Bäckerei, leider nur ein Stück. Danach war es Zeit, zum Gottesdienst zu gehen. Das schien alternativlos.
    »Aber den Hund kannst du nicht mit in die Kirche nehmen«, bemerkte Derya. »Kann der nicht mal eine Stunde im Hotelzimmer bleiben?«
    »Was willst du denn in diesem Gottesdienst?«, fragte ich zurück. »Du bist doch Muslima? Verzeihung, Alevitin?«
    »Willst du mir verbieten, einen christlichen Gottesdienst zu besuchen?«
    »Nein.« Ich lächelte sie an. »Aber Achtung, der christliche Gott ist ein mächtiger Spuk. Nicht, dass mir hinterher Klagen kommen.«
    Sie quälte sich ein Lachen ab.
    Die Abtei wuchs unvermittelt aus der grünen Wiese empor und machte einen durchaus heiligen Eindruck. Im Gemäuer stand ein Iona-Kreuz, eines dieser langen, reich verzierten Stelen mit kurzem Querbalken und Sonnenkreis in der Kreuzung. Es hieß St. Martin’s Cross, stammte aus dem achten Jahrhundert und markierte die Road of the Dead , die mit original mittelalterlichem Pflaster vom Hafen hier vorbei zur Oran’s Chapel führte.
    Cipión beschnüffelte interessiert den gestuften Sockel, der aus einem anderen Stein bestand und vermutlich jüngeren Datums war.
    »Da, schaut mal!«, rief Derya und deutete auf den Fuß des Sockels.
    »Ja, Kruzitürken!«
    Da war es wieder, das Symbol des aus zwei Winkeln zusammengeschobenen Quadrats mit Diagonalbalken.
    »Wir hätten uns doch mehr Mühe geben sollen herauszufinden, was es bedeutet«, sagte Finley.
    »Es gehört zur Formensprache der frühen keltischen Christen, der Kuldeer«, sagte Richard. »Darum ist es hier. Das ist alles.«
    »Ja, und in den Vaults, die erst im siebzehnten Jahrhundert – oder war’s das achtzehnte? – gebaut wurden. Sehr logisch, Richard!«, sagte ich. »Und wir stoßen hier wie dort wie von Geisterhand geführt mit unseren Nasen darauf.«
    Ich ging aufs Knie und besichtigte es von nahem. Auch hier war die Gravur im Stein tief und solide, die Ränder abgerundet, in den Scharten Erde und Sand. »Es wirkt, als sei es schon ewig hier.«
    Das schien Richard nicht zu überraschen.
    Ich verzichtete darauf, ihm die Anstecknadel aus Rosenfelds Schreibtisch unter die Nase zu halten. Er erinnerte sich sicher haargenau, dass ich sie in Kalteneck in der Hand gehabt hatte, und die

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