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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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England und Schottland trennte. Als Fontane hier war, im Jahr 1858 , war die alte Benediktinerabtei nur Ruine gewesen. »Ein Platz für Seeadler und Möwennester, dennoch ein Ort gewaltiger Geschichte«, zitierte Richard, was Finley großzügig belachte. »Geschichte allerdings, viel Geschichte!« Denn von Iona ging in der Mitte des sechsten Jahrhunderts die Christianisierung Schottlands aus, weil nämlich der irische Mönch Kolumban, Columba, Callum oder Malcolm mit zwölf Gefährten im offenen Boot nach Schottland gesegelt war und diese kleine Insel der Inneren Hebriden ausgewählt hatte, um eine Einsiedelei zu gründen. Sie nannten sich Culdees, was in frühen irischen Manuskripten als Cele De auftaucht und »Verschworene Verbündete Gottes« bedeutet und später zu Coli dei latinisiert wurde, was nun wiederum an die culdei erinnerte, die Mönche, Einsiedler. Ein irischer, norwegischer und schottischer König nach dem anderen war nach dem Tod dort hinüber verschifft und die Road of the Dead hinauf zum Reilig Odhráin, dem Heiligen Friedhof, getragen worden.
    Doch heute schien selbst das nicht mehr ganz sicher. Die Kuldeer waren von katholischen Römern vertrieben und die alten keltischen Kreuze noch später von fanatischen Puritanern ins Meer geworfen worden. Geschichte wurde zur Legende.
    Gut vierzig Jahre nach Fontanes Besuch, Anfang des 20. Jahrhunderts, ließ der Duke of Argyll die Benediktinerabtei wieder aufbauen, was sich bis nach dem Zweiten Weltkrieg hinzog. In den Siebzigern geriet er in finanzielle Nöte und wollte die Insel verkaufen. Ein Aufschrei ging durch Schottland: Die Königsgräber aus zweihundert Jahren in Händen eines US -Amerikaners oder Australiers? Der National Trust for Scotland erwarb Iona dann für 1,5 Millionen Pfund. Mittlerweile ist die Anlage Zentrum einer reformierten christlichen Gemeinschaft, die Jugendliche, die Gott schon sehr nahe sind, noch näher bringen soll und sie darum aus allen Weltgegenden anzieht.
    An diesem Mittwochabend waren es nur eine Busladung und gut ein Dutzend Insulaner, die das Schiff bestiegen. Das Pärchen von der Presse stand an der Bugreling. Sie war blond mit Pferdeschwanz und trug eine kurze rotbraune Lederjacke, er hatte dunkle Haare und eine Kameratasche über der Schulter. Eigentlich hätten sie Richard und mich ruhig erkennen können als die vom Loch Awe. Schon am Dackel. Aber sie schauten sich nicht um.
    Die Überfahrt sollte zehn Minuten dauern. Möwen kreischten, das Wasser rollte klar unter uns hinweg. Es roch nach Öl, Sand, fauligen Muscheln und Urlaub. Derya hatte sich reingesetzt. Richard stand allein an der Reling und hatte den Blick auf die Insel geheftet. Was dachte er? Wer war er in diesem Moment? Staatsanwalt oder Reisender? War er gespannt, die Abtei von innen zu sehen? Erregte ihn der Anblick von Meer, Gischt und einer geschichtsschweren Insel unter launischem Wolkenhimmel? Oder klimperte er im Kopf eine Passage aus dem Wohltemperierten Klavier ? Warum hatte er diese Reise unternommen? Was hoffte er zu finden?
    Finley entdeckte ich auf der anderen Seite des Schiffs. »Die Flugzeuge fliegen immer noch nicht wieder«, begrüßte er mich. »Ich habe mich gerade mit einem vom Schiff unterhalten. Das Internet ist jetzt auch auf dem Festland zusammengebrochen. Hunderttausende von Reisenden sitzen fest. What a shame, eine Schande, dass wir dermaßen abhängig vom Internet sind. Ist das hier nicht schön?«
    »Sehr schön.«
    Er musterte mich. »Wie macht man das, ohne dass man Bruderschaft trinken muss? Hier sagen wir einander unsere Vornamen, und dann ist alles klar. Aber bei euch muss man anschließend noch die Grammatik aushandeln.«
    Ich lachte. »Das ist eine Generationenfrage. Facebook duzt alle. Und ich bin in Facebook.«
    »Ah, very zeitgeistly!« Hinter dem Lausbubengrinsen lugte ein Mann hervor, der sich fragte, was er von dem anderen Mann im cognacfarbenen Anzug zu befürchten hatte, wenn er mich anbaggerte.
    »Finley«, sagte ich. »Ich habe eine Frage zu deiner Show mit dem Tantrik.«
    »Ja?«
    »Ist es möglich, dass so einer einen Menschen tötet?«
    »Wissenschaftlich belegt ist es nicht, aber es scheint möglich. Warum funktioniert Voodoo? In Australien heißt es Boning, weil man mit einem Knochen auf jemanden zeigt. Wir nennen es den soziokulturellen Tod. Ein Mensch übertritt die Regeln der Gemeinschaft, ein Magier klagt ihn innerhalb eines Rituals an und belegt ihn mit einem Todesbann. So hat es ein Physiologe 1942 in

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