Totentaenze
Wagen. Die Bahn fuhr los, ich sah mich um. Niemand folgte uns. Die beiden Damen waren vermutlich noch auf Mottenjagd. Wir sahen uns an und begannen zu kichern.
Noch nie hatte ich etwas gestohlen. Gut, als Kind hatte ich Süßigkeiten am Kiosk gemopst – spontane Aktionen, die sich aus einer allzu günstigen Gelegenheit ergeben hatten. Doch dies hier war etwas anderes. Eine abgekartete Show, die wir nach Klaras Plan durchgezogen hatten. Ein geplanter Raub. Ich forschte in meinem Inneren nach einem Anzeichen von schlechtem Gewissen oder Reue. Was war mit der Ladeninhaberin, die war sicher nicht reich, auch wenn sie sündteure Sachen verkaufte? Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass sie bestimmt gegen Diebstahl versichert war. Das war doch jeder Laden, oder? Meine Eltern hatten mich zu Ehrlichkeit erzogen – noch dazu war mein Vater Rechtsanwalt. Was würden sie sagen, sollten sie je erfahren, dass ihre bis dahin recht brave, unkomplizierte Tochter eine Kriminelle geworden war? Ich malte mir aus, wie die Polizei an der Tür unserer Doppelhaushälfte klingeln würde. Wir wollen Ihre Tochter Carolin sprechen … Meine Eltern würden sich in Grund und Boden schämen … Für einen Augenblick wurde mir ein klein wenig flau. Doch trotz solcher Ängste musste ich mir eingestehen, dass sich meine Gewissensbisse in Grenzen hielten. Es überwog die Freude an dem gelungenen gemeinsamen Coup. Vanessa und ich hatten die Bewährungsprobe bestanden. Wir waren cool. Lieber Himmel, ich durfte gar nicht mehr daran denken, wie aufgeregt ich vorhin im Laden gewesen war. Fast wäre mir schlecht geworden. Aber ich hatte durchgehalten! Auf eine perfide Weise war ich sogar stolz auf mich. Und auch Vanessa hatte ein breites Grinsen im Gesicht. Klara saß zwischen uns beiden und nickte uns anerkennend zu. Ein warmes Gefühl durchströmte mich.
Nach drei Stationen stiegen wir aus der Bahn und liefen in einen Park.
»Jetzt lasst mal sehen, Mädels«, meinte Vanessa, als wir eine abgelegene Bank erreicht hatten. Klara zog zwei Pullover, das Stück zu dreihundert Euro, unter ihrer Jacke hervor. Drei Gürtel gingen auf mein Konto. Vanessa hielt schon die ganze Zeit über eine schwarze Handtasche im Arm, dazu hatte sie noch ein passendes Schminktäschchen erbeutet, beides von Prada .
»Hier, für dich«, sagte Vanessa und hielt Klara die Sachen hin. Nur ich, die ich Vanessas Label-Fimmel kannte, konnte einschätzen, was für ein großzügiges Angebot das war. Ich beeilte mich, Klara die Gürtel zu reichen.
»Behaltet das Zeug«, wehrte Klara ab. »Ich habe, was ich wollte.«
»Die Pullis?«, wunderte sich Vanessa und rümpfte die Nase. »Findest du nicht, dass die ein bisschen – na ja – uncool sind?«
»Sie sind für meine Mutter.«
»Ah«, machte Vanessa verblüfft.
»Mir liegt nichts an Gürteln oder Prada-Täschchen. Mir liegt was an Leuten, auf die ich mich verlassen kann.«
Ich verstand sofort, was Klara meinte. Unsere gemeinsame Tat war das, was für sie zählte, nicht das Ergebnis. Sie hatte uns dazu gebracht, etwas Verbotenes zu tun. Jetzt hatten wir drei ein Geheimnis, jetzt waren wir Komplizinnen.
»Ich möchte, dass wir ab jetzt Freundinnen sind«, sagte Klara. »Und zwar für immer und unter allen Umständen.«
Vanessa und ich sahen uns kurz an, dann verloren sich unsere Blicke in Klaras Husky-Augen.
»Klar«, sagte ich geschmeichelt.
»Sicher«, hörte ich Vanessas Stimme.
»Ich will, dass ihr das schwört«, verlangte Klara.
»Schwören? Ist das nicht ein bisschen kindisch?«, wagte Vanessa einzuwenden.
»Nein«, sagte Klara nur. Also hoben wir die Hände und schworen Klara ewige Freundschaft.
In den folgenden Tagen gewöhnten Vanessa und ich es uns an, morgens auf Klara zu warten, um gemeinsam mit ihr zur Schule zu radeln. Im Unterricht tauschten wir Zettelchen mit mehr oder weniger geistreichen Notizen und Sprüchen aus und häufig schlenderten wir nun zu dritt über den Schulhof, während Daniel oder einer der älteren Jungs Klara zusätzlich Gesellschaft leistete. Nach der Schule trafen wir uns selten; meist verschwand Klara, sobald der Unterricht zu Ende war, ohne sich noch einmal nach Vanessa und mir umzudrehen. Also verbrachten wir die Nachmittage wie früher alleine im Schwimmbad oder am Baggersee. Unser Besuch in der Boutique wiederholte sich nicht und Klara schlug uns auch keine ähnliche Aktion mehr vor, worüber ich insgeheim froh war. Die von Vanessa und mir bisher erbrachten Vertrauensbeweise
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