Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
aus gestreut, das Knochenmark befallen und ihr Rückgrat angegriffen.
Sie muss zum Schluss furchtbare Schmerzen gehabt haben.«
»Könnte sie daran gestorben sein?«
»Wenn nicht, wäre ihr wohl nicht mehr viel Zeit geblieben.«
»Und was hat das alles zu bedeuten?«
Siri streifte seine Masken ab. Er brauchte die Luft dringender als den Schutz vor dem Gestank. Er nahm ein paar tiefe Atemzüge und schluckte die Übelkeit in seiner Kehle hinunter.
»Dass sie in den letzten Monaten ihres Lebens gelitten hat. Wir können nur hoffen, dass die Entführer ihr Schmerzmittel gegeben haben.« Er musste an die Opiumbonbons in der Präsidentenhöhle denken.
»Sie können unmöglich so herzlos gewesen sein …«
»Wissen Sie was? Ich glaube …« Den zweiten Galleschwall konnte er nicht mehr herunterwürgen, und Dtui beobachtete amüsiert, wie er herumwirbelte und sich erbrach. Sie hatte länger durchgehalten als der große Chirurg.
Eine halbe Stunde später präsentierten sie Lit ihre Befunde. Obwohl sie das Klassenzimmer längst verlassen hatten und im Schatten der Felswand hinter dem Krankenhaus saßen, wurden sie den Geruch nicht los. Sie hatten nicht mit Sicherheit feststellen können, ob Hong Lan an ihrem Krebsleiden gestorben war. Um an ihr Zwerchfell zu gelangen, hätte der Täter zunächst das Abdomen aufschneiden müssen. Dabei wäre das Mädchen wahrscheinlich verblutet, aber auch das ließ sich weder beweisen noch widerlegen. Und wie schon bei Isandro hatten sie keinerlei Anhaltspunkte für eine andere Todesursache
gefunden. Zufrieden notierte Genosse Lit, dass »in beiden Fällen Hinweise auf ein Verbrechen« vorlägen, und schloss seinen Bericht mit den Worten: »Beiden Leichen wurde das Herz entnommen, und da sich zum fraglichen Zeitpunkt nur ein weiterer Verdächtiger am Tatort aufhielt, darf davon ausgegangen werden, dass Odon beide Morde verübte.«
Da Lits eigentlicher Fall – die Leiche in Beton – gelöst war, bereitete es ihm umso größere Genugtuung, dass die anderen beiden Morde ungeklärt blieben. Seine Vorgesetzten konnten wohl kaum von ihm verlangen, einen toten Tatverdächtigen zu befragen. Er wusste, dass die Armee selbst über das Strafmaß für Giap und die anderen Mitglieder des Lynchmobs befinden musste. Angesichts der Schwere des Verbrechens, für das die Soldaten Rache genommen hatten, rechnete er eher mit einem Tadel und einer Degradierung als mit standrechtlicher Erschießung. Aber das brauchte ihn nun nicht mehr zu kümmern. Er war aus dem Schneider.
Bevor er den Bericht einreichte, erklärte er Dtui, er werde beizeiten zurück sein, um die »Vereinigungsformalitäten« abzuschließen. Womit er offenbar die Hochzeit meinte, und es wunderte Dtui nicht im Geringsten, dass er über eine Verlobung sprach wie über eine Firmenfusion. Sie wanderte mit Siri am Fuß des Berges entlang und atmete den Duft des wilden Wasserschlauches, der dort üppig gedieh. Inzwischen hielten sie sich an die ausgetretenen Pfade. Dtui bezweifelte, dass sie je wieder den Mut zu einem Spaziergang über nicht markierte Felder oder durch jungfräuliche Wälder aufbringen würde.
Sie war ebenso besorgt wie ihr Chef, und seit Lit gegangen war, hatten sie kein Wort mehr gesprochen. Der
Mann war trunken gewesen vor Glück. Als habe er die letzte Hürde auf dem Weg zu seiner nächsten Beförderung genommen. Siri bemerkte Dtuis mürrische Miene.
»Überlegen Sie, was Sie dem Genossen Lit sagen sollen?«
»Nein. Eigentlich nicht. Das wird sich schon irgendwie regeln.«
»Was dann?«
Sie blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich habe ein ungutes Gefühl, was diesen Fall angeht.«
»Ich auch.«
»Gut. Sie zuerst. Was bereitet Ihnen Kopfzerbrechen?«
»Wahrscheinlich mehr oder weniger dasselbe, was Ihnen Kopfzerbrechen bereitet. Gehen wir alles noch einmal durch.« Sie setzten sich nebeneinander auf einen schattigen Felsblock. »Ich weiß, es sieht ganz danach aus, als sei die Geschichte hiermit zu Ende, aber ich kann mich des Verdachts nicht erwehren, dass uns ein wesentlicher Teil der Handlung entgangen ist.«
»Mir geht’s genauso. Meine weibliche Intuition piesackt mich schon seit geraumer Zeit. Vor allem die Mutter macht mir Sorgen. Ihre Tochter ist verschwunden, aber sie zieht in aller Seelenruhe nach Vietnam, als wäre nichts gewesen. Und als die Leiche schließlich gefunden wird, kommt sie noch nicht mal zur Beerdigung. Zur Beerdigung ihrer einzigen Tochter. Das klingt mir nicht
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