Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
nach einem besonders herzlichen Mutter-Tochter-Verhältnis.«
»Vielleicht hat sie den Tod ihres Mannes nicht verkraftet.«
»Aber gerade das schweißt die Hinterbliebenen doch besonders eng zusammen. Nein. Zwischen den beiden ist
irgendetwas vorgefallen. Da habe ich nicht den geringsten Zweifel. Steckt Odon eigentlich immer noch in Ihnen?«
Die Frage überraschte Siri. Er hatte den aufsässigen Geist völlig vergessen. »Ich glaube kaum. Ich weiß es nicht. Ich habe nichts mehr gespürt, seit wir die Leiche gefunden haben. Ich habe in den vergangenen vierundzwanzig Stunden nicht ein einziges Mal mit den Fingern geschnippt. Ich war ohnehin nie wirklich besessen, ich habe lediglich seine Gegenwart gefühlt – seinen Einfluss. Und auch das will mir irgendwie nicht recht einleuchten. Wenn Odon und Isandro tatsächlich so böse waren, wie ständig behauptet wird, warum habe ich davon dann nichts gemerkt? Warum habe ich ihre Macht nicht ein einziges Mal gespürt? Ich weiß auch nicht. Ich frage mich …«
»Was?«
»Ich frage mich, ob wir vielleicht nur das sehen, was wir sehen sollen.«
»Und was machen wir jetzt?«
»Wir könnten nach Vientiane zurückfahren und feierlich verkünden, dass Inspektor Maigret und seine rechte Hand erneut ein heimtückisches Verbrechen geklärt haben, obwohl wir insgeheim wissen, dass dem nicht so ist …«
»Ich bin für die zweite Alternative.«
»Das dachte ich mir.«
Dr. Sounsak – der junge Arzt, der das vietnamesische Hausmädchen angeblich von einem Affenfötus entbunden hatte – war als einer von wenigen Laoten in die zwielichtigen Machenschaften der Kubaner verwickelt gewesen. Während man ihn in ein Krankenhaus in der Provinz Savannakhet versetzt hatte, lebte Fräulein Bong, die junge Dame, mit der er damals liiert gewesen war, noch immer
in dem Dorf bei Kilometer 8, wie das Küchenpersonal des Gästehauses begeistert kolportierte.
Siri und Dtui hatten eine Theorie entwickelt – ein alternatives Szenario für die rätselhaften Vorgänge des vergangenen Jahres. An dieser Hypothese hangelten sie sich nun entlang, ließen die Ereignisse Revue passieren und klopften sie auf ihre Wahrscheinlichkeit hin ab. Fräulein Bong war eine stämmige, sonnengegerbte Frau, der die jahrzehntelange Feldarbeit einen krummen Rücken beschert hatte. Sie trafen sie auf dem Reisfeld an, wo sie Schösslinge pflanzte. Sie ließ sich nur widerwillig auf ein Gespräch ein. Ihr war bei diesem Thema offensichtlich nicht ganz wohl.
Dtui ging es ähnlich. »Ist dieses Feld auch sicher?«, fragte sie.
»Nicht mehr und nicht weniger als jedes andere, Tantchen«, erwiderte Fräulein Bong. Prompt explodierte Dtui. Die Fetzen flogen nach allen Seiten. »Tantchen?« Die Frau war mindestens zehn Jahre älter als sie. War sie im Lauf der letzten Woche so sehr gealtert? Nachdem sie sich einigermaßen gesammelt hatte, musste sie feststellen, dass weder Siri noch die Frau überhaupt bemerkt hatten, dass sie in die Luft gegangen war. Sie versuchte es mit Fassung zu tragen.
»Könnten Sie vielleicht einen Moment Pause machen und mit uns sprechen?«, sagte Siri. »Ich bekomme langsam einen steifen Hals.«
»Wir müssen fertig werden, bevor der große Regen kommt«, sagte Fräulein Bong. »Da habe ich für sinnloses Geschwätz keine Zeit.« Sie hoffte wohl, sich die Großstädter mit derlei Unhöflichkeiten vom Hals halten zu können.
»Na schön.« Siri ließ sich auf einem Erdwall nieder.
»Dann erzählen Sie uns doch einfach vom Genossen Sounsak.«
»Da gibt’s nichts zu erzählen.«
»Sie hatten ein Verhältnis mit ihm, als …«
»Wir waren verlobt«, fiel sie ihm ins Wort.
»Verzeihung. Sie waren mit dem Genossen Sounsak verlobt, als er im Krankenhaus ein seltsames und wenig erfreuliches Erlebnis hatte.«
»Ach ja? Was denn für eins?«
»Es hatte mit einem Affenfötus zu tun.«
Sie starrte Siri an, wie man eine Eidechse anstarren würde, die mit bloßen Zehen eine Dose Corned Beef zu öffnen versucht. »Hä?«
»Hat er Ihnen nichts davon erzählt?«
»Wir haben nur selten über Affen gesprochen.«
»Eine schwangere Vietnamesin hatte ein totes Affenbaby zur Welt gebracht. Hat er das Ihnen gegenüber nicht erwähnt?«
Die Frau sah Dtui an. »Hat Ihr Großvater sie noch alle?«
Dtui seufzte und sprach ganz langsam, denn die Frau war anscheinend nicht besonders helle. »Es gab da ein vietnamesisches Hausmädchen«, sagte sie. »Sie kochte für die Ingenieure, die am Bau des
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