Totentanz
Auflösungsprozeß der europäischen Gesellschaft nach dem Zerfall der Ideologien, die Installation eines großformatig in Graphit ausgeführten Werkzyklus. Zwei auf eineinhalb Meter groß die Rückenansicht von Johannes Paul II., müde von den irdischen Ereignissen dreht er einer Atombombenexplosion den Rücken zu. Drei auf zwei Meter groß Hammer und Sichel über dem Kreml in nächtlichem Schneefall, während das Katzenskelett von Maurizio Cattelan verächtlich auf Picassos sterbendes Pferd aus Guernica blickt. Inspiriert von Aragon und Max Ernst, nannte der Maestro, der von einer internationalen Jury zu den hundert besten Künstlern der Welt gezählt worden war, sein intelligentes und ironisches Werk »Eine Woche der Heiligkeit«.
Marco, der Galerist, hatte in einem Interview behauptet, in Triest eine Galerie für zeitgenössische Kunst zu führen entspräche in etwa der Absicht, eine Metzgerei für Schweinefleisch in einem islamischen Land zu eröffnen. Und in der Stadt ging das Gerücht, daß der Bürgermeister, als es Probleme mit einer geplanten Warhol-Ausstellung in den Räumen des Alten Fischmarkts gab, darauf bestanden hatte, selbst mit dem längst verblichenen Künstler zu telefonieren. Trotzdem mangelte es heute abend nicht an Publikum. Selbst der alte Galvano zerrte seinen schwarzen Hund durch das Gedränge. Laurenti wollte den Alten begrüßen, wurde aber mit einer Suada empfangen, die sich gewaschen hatte. Der alte Choleriker beschimpfte ihn so laut, daß trotz des hohen Geräuschpegels sich sofort ein kleiner Kreis um sie bildete.
»Laß gefälligst meinen Hund in Ruhe, Unwürdiger«, schrie er Laurenti an, der wenigstens von dem Tier freudig begrüßt wurde. Es folgte ein harter Ruck an der Leine, der den schwarzen Köter fast strangulierte.
»Ohne mich hättest du den gar nicht.« Laurenti lachte, aber er spürte Unheil aufziehen.
»Es war ein schwerer Fehler, daß ich dir damals, als ich leicht geschwächt war, das Du angeboten habe, Laurenti. Am liebsten würde ich es rückgängig machen. Auf der Stelle. Du verdienst keine Freundlichkeit.«
Vor zwei Jahren hatte Laurenti den Alten aus dem Meer gezogen, als er während einer Geiselbefreiung von der Mole gestürzt war. Samt Hund. Ins Becken des Alten Hafens, wo neben der Viehverladung die Kuhfladen an der Wasseroberfläche trieben. Galvano war im Polyklinikum Cattinara eingeliefert worden, und Laurenti hatte ihm heimlich eine Flasche »Jack Daniels« ans Krankenbett gebracht, was den alten Grantler so gerührt hatte, daß er Laurenti vermutlich als erstem und einzigem die vertrauliche Anrede antrug. Er selbst hingegen duzte jeden, sogar den damaligen Staatspräsidenten, dem er bei einem offiziellen Besuch in Triest als Symbol der italienisch-amerikanischen Freundschaft vorgestellt worden war.
»Du warst in der Zeitung. Ein nettes Foto«, sagte Laurenti. »Ich wußte gar nicht, daß du gelegentlich mit meiner Mitarbeiterin spazierengehst. Aber ich freue mich, wenn du so intelligente Gesellschaft suchst. Obwohl sie eine Frau ist.«
»Hör mir jetzt gut zu«, der Alte übertönte alle um sie herum, und Laurenti legte mahnend den Finger auf die Lippen, »Pensionäre sind keine Müllmänner. Und sie taugen auch nicht dazu, anderen nachzuschnüffeln, wie sie ihren Müll entsorgen. Nur weil man uns ab einem gewissen Alter nicht mehr arbeiten läßt, muß man uns nicht verhöhnen. Selbst wenn Ihr Jungen der Meinung seid, alles besser zu können, heißt das noch lange nicht, daß man uns nicht zu respektieren hat.«
»Jetzt laß aber mal die Kirche im Dorf, Galvano.« Auch Laurentis Ton wurde schärfer. Er hatte diese Attacke nicht verdient und wußte, daß man dem Alten manchmal Einhalt gebieten mußte. »Du bist der Richtige, um der Kleinen zu helfen. Sie ist ganz verzweifelt.«
Dem dürren langen Mann mit dem riesigen Kopf platzte fast die Ader, die sich auf seiner Stirn abzeichnete. Laurenti hätte besser geschwiegen und einfach abgewartet, bis sich der Anfall von alleine legte.
»Du bist ein Misanthrop, Laurenti. Ein Landesverräter. Ein ungehobelter Drecksack. Ich habe jeden einzelnen Fall für dich gelöst, mit dem du dann Karriere gemacht hast. Und du sitzt in der Scheiße, weil du nicht den Mut hast, dich auch einmal gegen die Anordnungen an mich zu wenden, wenn du mich brauchst. Ist dir mein Nachfolger etwa eine Hilfe? Der wievielte ist das überhaupt? Du hast kein Rückgrat, Laurenti. Und mich läßt du es büßen, indem du eine
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