Totentanz
31,3 regelte, daß der Empfangsstaat die konsularischen Räumlichkeiten vor jedem Eindringen und jeder Beschädigung zu schützen hatte, um zu verhindern, daß der Friede der konsularischen Einrichtung gestört oder seine Würde beeinträchtigt wird. Die Vorwürfe waren ungerechtfertigt, denn in diesem Sinne hatte er gehandelt, und so stand es im »Wiener Übereinkommen«, das Laurenti gleich konsultiert hatte. Er wußte genau, was er durfte oder nicht, doch da der Präfekt, wie es schien, entschlossen war, seinen Wutanfall bis zum Letzten auszukosten, ließ Laurenti ihn brüllen und schaute nebenher die Tagespost durch. Sicher würde es auch nicht mehr lange dauern, bis der Questore ihn zu sich rief, um ihn zu angemessenem Verhalten gegenüber der Konsulin zu ermahnen.
Doch diesmal hatte er sich getäuscht. Nachdem er dem Statthalter Roms wortreich versichert hatte, die Unterlagen vom Erkennungsdienst innerhalb der nächsten halben Stunde zum Konsulat schaffen zu lassen, öffnete sich die Tür. Der Chef erschien höchstpersönlich. Das hatte es bisher noch nie gegeben, daß der Mann sich einen so langen Weg vom vierten in den dritten Stock zumutete. Er machte ein Gesicht wie ein verregneter Sommer, als er Laurenti sanft die Hand drückte und die andere Hand auf dessen Schulter legte.
»Mein Mitgefühl, Commissario«, sagte er.
»Danke, Questore.« Laurenti paßte seinen Gesichtsausdruck an. »Aber es ist gottlob noch niemand gestorben.«
»Für Ihre Frau muß es schrecklich sein. Traumatische Erfahrungen. Ich hoffe, sie wird gut betreut.«
Konnte man das studieren? Obgleich sie den Mann nebst Gemahlin erst vor kurzem zum Abendessen an die Küste eingeladen hatten, schien er zu glauben, Laura sei ein zerbrechliches Püppchen, das ab sofort ohne psychiatrischen Beistand und einer Schachtel Prozac am Tag lebensunfähig sei, und nicht eine gestandene Geschäftsfrau und Mutter von drei Kindern, die Nerven wie Drahtseile hatte, dank derer sie auch Proteo zu steuern wußte.
»Es geht schon, Chef«, sagte Laurenti und versuchte, seine Stimme bedrückt klingen zu lassen. »Ein harter Schlag. Aber bitte nehmen Sie doch Platz.« Er wies auf einen Stuhl am Besuchertisch und bat Marietta darum, dem Hausherrn einen Espresso zu bringen.
»Es scheint ein heikler Fall zu sein, Laurenti.«
»Ich habe ihn selbst noch nicht so richtig begriffen. Irgend etwas hat irgend jemanden aufgeschreckt, und dieser Irgendjemand denkt, ich durchschaue ihn, und bedroht mich deswegen. Er wäre besser beraten gewesen, nicht zu reagieren, dann hätte die Sache sich irgendwann im Sand verlaufen.« Laurenti faßte in knappen Worten den Fall Drakič zusammen, denn der Questore war erst vor einem knappen Jahr nach Triest versetzt worden, um seinen Vorgänger abzulösen, der den Sprung ins Innenministerium geschafft hatte.
»Sind Sie nicht zu sehr in die Sache verstrickt, Laurenti? Sie sprechen von diesem Drakič wie von Fantômas. Wollen Sie nicht jemanden hinzuziehen, der etwas mehr Distanz hat?«
»Meine Abteilung ist groß genug. Und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie auch den Staatsanwalt dahingehend beeinflussen würden. Ich sag’s schon, wenn es Probleme gibt. Jetzt gilt es, sich zu konzentrieren, die Sache zusammenzuhalten, anstatt sie zu verwässern.«
»Ich mußte auch einmal drei Monate lang Personenschutz erdulden. Damals in Catania war ich aus Versehen einem der Bosse zu nahe gekommen. Für Sie ist es das erste Mal?«
Laurenti nickte.
»Unter Freunden gesagt«, der Chef lächelte verwegen, »es ist nicht besonders angenehm. Überlegen Sie doch, ob Sie nicht einfach einen Teil Ihres Resturlaubs in Anspruch nehmen und den Fall einem Kollegen überlassen wollen.«
»Ich werte Ihren Vorschlag als Scherz, Questore. Ich war nie jemand, der bei Spannungen klein beigibt. Genau das wollen die doch. Das Gesetz weicht dem Verbrechen! So weit kommt es noch.« Laurenti winkte unwirsch ab. Darum ging es also: Der Chef wollte die Kosten seiner Überwachung sparen. »Nichts zu machen.«
»Für alle Fälle, Laurenti, scheuen Sie sich nicht davor, zu sagen, wenn Sie abgelöst werden wollen.«
Tatjana Drakič? Mit dem Zettel am Hals der toten Möwe wurde er aufgefordert, sie zu vergessen. Das bedeutete doch, daß sie noch in der Stadt war. Wenn er an sie herankam, hatte er vielleicht auch die Chance, mit ihrem Bruder abzurechnen, selbst wenn der jenseits der Grenzen bereits ein gemachter Mann war. Auch Viktor Drakič hatte seine schwachen
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