Totentanz
zu hören. Eine starke Brise zog von Süden auf, der Scirocco jagte eine Regenwand vor sich her, die sich unaufhaltsam der Stadt näherte.
»Ich wollte mir die Füße vertreten, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Ein bißchen Distanz tut manchmal gut. Als ich die Questura verließ, kam per Zufall meine Wohnungsnachbarin aus dem Konsulat. Sie hatte mich nicht gesehen. Ich ging hundert Meter hinter ihr her, sie wollte offensichtlich nach Hause. Doch bevor sie in die Via Mazzini abbog, rief ich nach ihr und fragte, ob sie Lust auf eine Pizza hätte. Ich brauchte sie nicht lange zu überreden. Sie war ziemlich gestreßt und hatte den ganzen Tag noch nichts zu sich genommen. In dem Moment fuhren Sie an mir vorbei und hielten bei San Spiridione. Ich dachte, Sie hätten uns gesehen und blieben deswegen noch im Wagen sitzen. Ihr Auftritt eine halbe Stunde später war ziemlich gelungen. Sie ließ fast die Hälfte ihrer Pizza stehen. Als ich sie fragte, was plötzlich mit ihr los sei, murmelte sie lediglich von Problemen mit dem Magen. Dann hat sie unvermittelt ihre Handtasche geschnappt, ist aufgestanden und wie von der Tarantel gestochen davongeeilt. Ich habe den Eindruck, daß uns der Zufall einiges geholfen hat.«
»Zufall ist ein Wort ohne Sinn; nichts kann ohne Ursache existieren. Zumindest wenn es nach Voltaire geht. Knöpfen Sie sich den Gorilla vor, ich kümmere mich um den Eintreiber. Unter Gleichaltrigen versteht man sich besser.«
Pina war noch nicht mit ihren Ausführungen am Ende. »Da ist noch etwas«, sagte sie. »Wenn ich die Worte dieser Dame richtig interpretiere, Commissario, dann stehen Sie ab sofort ganz oben auf der Abschußliste. Sie sind in Gefahr.«
Laurenti schaute sie verdutzt an. »Gefahr? Ich habe zwei Beschützer, die zu verhindern haben, daß mir ein Ziegelstein auf den Kopf fällt. Wollen Sie mich aus dem Verkehr ziehen?«
»Das nicht«, antwortete Pina. »Aber es wäre besser, Sie würden nicht mehr in vorderster Reihe stehen. Sie können die Ermittlungen auch aus dem Büro leiten. Wir anderen sind keine Anfänger.«
»Danke für den Ratschlag. Ich denke darüber nach. Wir unterhalten uns, wenn wir mehr wissen. Unsere Patienten warten, und ich habe keine Lust, die Nacht im Büro zu verbringen.«
Und dann kam Pina noch einmal auf Galvano zu sprechen. Sie hatte damit gedroht, ihn wegen Belästigung vor Gericht zu bringen, doch der Alte stritt vehement ab, Urheber der anonymen Schreiben zu sein. Er verlangte tobend eine sofortige Durchsuchung seiner Wohnung. Er habe nicht einmal einen Computer zu Hause, nur eine alte klapprige Reiseschreibmaschine, mit der er seine Gedanken noch so lange zu Papier bringen würde, bis es keine Farbbänder mehr zu kaufen gäbe. Doch Pina hatte wie wild mit den Fotos gewedelt, die den Gerichtsmediziner zeigten, wie er ihre Mülltüte wieder aus der Tonne zog. Vielleicht war es der Hausmeister selbst, hatte Galvano gebrüllt, der sexuell fehlgeleitet hinter der Kleinen her war. Ein Abartiger, wo es doch genug richtige Frauen gab, denen nachzustellen lohnenswerter war, als solch einer Miniatur-Popeya mit dem Sexappeal einer Kettensäge. Damit war für ihn die Sache fürs erste beendet. Aber nicht für Pina. Die Fotos waren eindeutig, und das sollte er büßen.
»Der Alte ist zu vielen unerwarteten Dingen in der Lage«, sagte Laurenti. »Aber dies ist nicht sein Stil. Und von modernen Technologien hat er keinen Schimmer. Lassen Sie den armen Mann in Ruhe.«
»Er kann sich auch in einem Internetcafé an einen Computer setzen.«
»Galvano weiß nicht einmal, was das ist.«
Laurenti ließ den Geldeintreiber vorführen. Der Mann hieß Giorgio Zenta, war ein paar Jahre älter als er und noch im Territorio Libero di Trieste geboren, doch hatte er offiziell keinen Wohnsitz in Italien, nur noch den Paß, in dem allerdings auch kein ausländischer Wohnort eingetragen war. Sein Mobiltelefon lief auf einen montenegrinischen Betreiber, der auf die Anfrage nach einer Auswertung der Telefongespräche der letzten Monate niemals antworten würde. Diese Mühe konnte man sich sparen, das Land war nach wie vor fest in der Hand der organisierten Kriminalität. Zuerst war es Unterschlupf für viele der meistgesuchten Verbrecher Italiens gewesen, inzwischen aber rollte der Rubel in diesen Zwergstaat, der als erster in Osteuropa die D-Mark übernommen hatte und in dem heute fleißig an der Herstellung gefälschter Euro-Noten gearbeitet wurde. Die Regierung bekräftigte ihren
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