Totentanz
Gegenteil schien er plötzlich stolz darauf zu sein, einen Vater zu haben, der so wichtig war, daß zwei Bodyguards ihn begleiten mußten. Er führte Laurenti in die Küche, wo seine Kollegen den Commissario viel respektvoller als sonst grüßten. Marco stellte ihn der neuen Praktikantin vor und führte ihn schließlich zu seiner Chefin, bei der Laurenti sich für den gestrigen Auftritt der Sicherheitsbeamten im Restaurant entschuldigte.
»Ein Auftritt wie bei Miami Vice«, lachte sie. »Die Gäste haben es genossen.« Sie bot ihm ein Glas Wein an und sagte, er habe vermutlich schon gegessen. Laurenti bejahte so zögerlich, daß sie ihm nicht glaubte. In der Tat hatte er seit der Mittagszeit keine freie Minute gefunden, um nebenbei wenigstens ein Tramezzino zu verschlingen.
»Willst du deinem Vater nicht eine Pasta machen?« fragte sie Marco.
Der verdrehte nur die Augen. Er hatte soeben erst Kochmütze und Schürze abgelegt.
»Ein Stück Brot tut’s schon«, sagte Laurenti. »Machen Sie sich bloß keine Umstände.«
Nichts zu machen. Triests berühmteste Küchenchefin war bereits am Werk und stellte einen Teller mit angerührtem Baccalà als Vorspeise auf den Tisch. Ein Gericht, das Laurenti liebte, auch wenn ihm in diesen Tagen die Lust auf Stockfisch vergangen war. Und dann kam wie von Zauberhand eine Pasta, wie sie köstlicher nicht sein konnte.
»Phantastisch«, sagte Laurenti. »Was ist das?«
»Profumo d’estate«, sagte Ami Scabar. »Ganz einfach: Ein Pesto aus fünf Sorten Thymian, auch etwas Estragon, geräuchertem Ricotta und Olivenöl, Kalmare und Garnelen ganz kurz auf Kirschholz kalt geräuchert, klein gewürfelte Kartoffeln in Zitronensaft und einer Prise Vanillezucker mariniert und al dente gegart, die Maltagliati, die breiten Nudeln, ebenfalls separat gekocht, und anschließend alles zusammen in einer Pfanne auf den Punkt gegart.«
»Ganz einfach«, sagte Marco mit leicht gequältem Gesichtsausdruck und einem Unterton, den seine Chefin zum Lachen brachte.
»Einfachheit ist eine Kunst, die man lernen muß«, sagte sie und entkorkte eine Flasche Glera von Sancin.
»Wie hältst du es in diesem Jahr mit der Weinlese, Papà?« fragte Marco. »Nimmst du deine Beschützer etwa mit?«
»Pssst«, sagte Laurenti und hielt verschwörerisch den Finger an die Lippen. »Ich werde sie austricksen. An solch einem Tag will ich sie wirklich nicht um mich haben.«
»Und wann?«
»Übermorgen, Marco. Aber sag es niemandem.«
»Was passiert eigentlich, wenn ich nach der Arbeit nicht direkt nach Hause will? Fahren mich die Gorrillas dann die ganze Nacht herum?«
Laurenti kniff mißtrauisch die Augen zusammen. »Sie haben dich zu beschützen, aber sie sind nicht deine Chauffeure. Komm nicht auf krumme Gedanken. Es tut dir ganz gut, wenn du früher nach Hause kommst und zeitig zu Bett gehst, nüchtern und ohne dir vorher zwei Joints reinzuziehen.«
Marco atmete tief durch. In Gegenwart seiner Chefin wollte er seinem Vater nicht widersprechen, dabei hatte er sich schon ausgemalt, sich zusammen mit der neuen Praktikantin nach Ljubljana zum Diskothekenbesuch fahren zu lassen, ohne auf der Rückfahrt den eigenen Führerschein zu riskieren.
»Marco, mach keinen Blödsinn«, sagte sein Vater. »Der Spuk ist bald vorbei. Hab ein paar Tage Geduld. Versprich mir das.«
*
Wieder hatte sich ein Gewitter über dem Zentrum entladen, und innerhalb einer Stunde hatte es so viel geregnet, daß die Kanalisation überlief und das Regenwasser knöchelhoch in den Straßen stand. Im Lauf des Abends hatte der Wind gedreht und sich zu einem Sturm entwickelt. Der Scirocco trieb meterhohe Brecher über die Uferstraßen in die Stadt hinein. Inspektorin Pina Cardareto kämpfte auf ihrem Rennrad mit dem Gleichgewicht, doch wenigstens mußte sie nicht durch die Pfützen waten. Das Licht im Treppenhaus funktionierte nicht, und der Aufzug war außer Betrieb, als sie nach zwei Uhr und langen Verhören endlich das Haus in der Via Mazzini betrat und das Fahrrad an seinen üblichen Platz in der Eingangshalle vor der Portiersloge lehnen wollte. Zu ihrer Verwunderung war ein rotweißes Plastikband zwischen der Tür und den Briefkästen gespannt, an dem ein Zettel hing. Sie entzifferte ihn mühsam. »Fahrräder abstellen verboten!« Ein Computerausdruck, der nur ihr gelten konnte, denn kein anderer Bewohner des Palazzo bediente sich dieses Verkehrsmittels. Lauter Autofahrer, die zu feige waren, sich mit eigener Kraft durch den Verkehr zu
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