Totentanz
das Eindringen in ihre Privatsphäre, die zerschnittenen Kissen und die Matratze, das Geschirr, alles war halb so schlimm. Doch dieser Angriff auf ihre schöpferische Arbeit der letzten Monate, auf das einzige Vergnügen, das sie sich gönnte, brachte sie fast zum Heulen. Die Konsulin beobachtete sie vom Flur aus, während sie verzweifelt die Blätter aufsammelte und schließlich mutlos auf ihren Schreibtisch warf. Jetzt erst fiel ihr ein Päckchen auf, an dem ein rosaroter Zettel befestigt war. Mit spitzen Fingern faßte sie ihn an einer Ecke und schlug ihn auf.
»Bullensau. Du entkommst mir nicht. Ich krieg dich, wann ich will. Und dann machst du das, was ich dir sage. Viel Spaß beim Vorspiel.«
Pina wog vorsichtig das Päckchen und tastete das Klebeband ab, mit dem es verschlossen war. Drähte waren nicht zu fühlen. Sie nahm ein Skalpell aus ihrem Malkasten und schnitt es behutsam auf. Im Zeitlupentempo öffnete sie die Pappkartonklappen. Zusammengeknülltes Zeitungspapier. Sehr langsam nahm sie eines nach dem anderen heraus. So wie sie es bei einem der Lehrgänge gelernt hatte. Schritt für Schritt. Ohne ein Risiko einzugehen oder mögliche Spuren zu löschen. Endlich lag der Inhalt vor ihr. Ein Vibrator, über den ein offensichtlich benutztes Präservativ gestülpt war. Sie zeigte ihn der Konsulin.
»Ich seh schon, es ist besser, wenn ich dich alleine lasse«, spöttelte Petra Piskera. »Hast du einen heimlichen Verehrer? Jemand, der dir nette Geschenke macht?«
»Es sieht ganz danach aus.«
»Meine Hochachtung für dein fachmännisches Vorgehen. Ich dachte, du arbeitest im öffentlichen Dienst und nicht bei der Polizei.«
Pina fuhr herum. »Ist das etwas anderes?«
»Kennst du den Bullen, der in der Pizzeria an uns vorbeiging?«
»Welchen Bullen?« fragte Pina Cardareto.
»Er heißt Laurenti.«
»Nur vom Namen. Der ist ein großes Tier. Ich bin Assistentin in der Paßabteilung. Warum?«
»Nur so. Ein entfernter Verwandter hatte vor vielen Jahren mit ihm zu tun. Nichts Besonderes. Jugendsünden. Und in meinem Büro wurde vor kurzem auch eingebrochen. Dieser Laurenti führt die Ermittlungen. Er ist mir nicht besonders sympathisch, und ich habe meine Zweifel, ob ich mich auf ihn verlassen kann.«
»Ach so. Wenn du willst, kann ich mich einmal informell erkundigen. Wir Sekretärinnen gehen oft zusammen zum Mittagessen. Da quatscht man über alles.«
»Laß nur. Es ist nicht so wichtig. Wenn du etwas brauchst, sag es.«
»Eine neue Wohnung wirst du mir kaum anbieten können.«
Die Konsulin ging zur Tür. »Und viel Spaß mit deinem neuen Spielzeug.«
Lustlos sammelte Pina Cardareto ihre Zeichnungen auf und sortierte sie. Mehr als die Hälfte war irreparabel zerstört, sie würde sie über Wochen nachzeichnen müssen. Sie verstaute die Zeichenmappe auf dem Schrank und rief die Kollegen vom Streifendienst, die wenige Minuten später eintrafen. Nicht, daß sich die Inspektorin große Hilfe von ihnen erhoffte. Sie brauchte die Anzeige für die Versicherung. Die Schachtel mit dem Vibrator enthielt sie ihnen vor. Den Kollegen diese Freude zu machen wäre dumm, sie würde keinen Schritt mehr durch die Flure der Questura tun können, ohne hämische Blicke zu ernten. Und was konnten die Kollegen schon ausrichten, wo sie selbst nicht weiterkam? Wer wollte ihr Leben vergiften? Sie würde sich morgen noch einmal mit Laurenti beraten und darauf beharren, daß er die Sache ernster nahm als bisher. Sie war sich nicht mehr sicher, daß Galvano hinter den Botschaften stand. Schwer vorstellbar, daß der Alte auch noch in Wohnungen einbrach und Porzellan zertrümmerte. Aber ausschließen konnte sie es trotzdem nicht, die Fotos sprachen eindeutig gegen ihn. Gegen vier Uhr endlich fiel Pina Cardareto auf der zerrissenen Matratze ihres Bettes in bleiernen Schlaf.
Die Wellen schlagen hoch
Die schwere Müdigkeit, die Proteo Laurenti nur schläfrig dem Bericht Mariettas über die Vorkommnisse der letzten Nacht folgen ließ, kam nicht von der Arbeitsbelastung der letzten Wochen, sondern davon, daß seine Gäste am Vorabend einfach nicht nach Hause gehen wollten. Gerade als sie zum erstenmal aufbrechen wollten, begann das Gewitter sich mit Sturmböen über der Küste zu entladen und ging dann in sintflutartigen Dauerregen über, der sich erst gegen vier Uhr morgens legte. Da konnte man nicht einmal einen Hund auf die Straße jagen.
Als Proteo Laurenti mit Marco nach Hause kam, herrschte trotz der späten Stunde
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