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Totentöchter - Die dritte Generation

Totentöchter - Die dritte Generation

Titel: Totentöchter - Die dritte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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meinem Hals vergraben. Die Musik ist verschwunden, meine Finger tasten nach Schnur, die nicht da ist. Und ich erkenne die Wahrheit: Wenn ich die Augen öffne, werde ich das dunkle Schlafzimmer in meinem üppig ausgestatteten Gefängnis sehen. Aber ich versuche, mich nicht aus diesem nebelhaften Zustand zu lösen, denn die Enttäuschung wäre einfach unerträglich.
    Ich fühle die Nässe von Lindens Tränen auf meiner Haut, sein zitterndes Schluchzen, und ich weiß, dass er von Rose geträumt hat. Auch seine Nächte sind häufig zu einsam. Er küsst mein Haar und schlingt den Arm um mich. Ich lasse es zu. Nein, ich will es. Brauche es. Mit geschlossenen Augen lege ich meinen Kopf auf seine Brust, um dem kräftigen Klopfen seines Herzens zu lauschen.
    Ich will ich selbst sein, ja. Rhine Ellery. Schwester, Tochter. Aber manchmal ist das zu schmerzhaft.
    Mein Geiselnehmer zieht mich an sich und eingehüllt in seine Atemgeräusche schlafe ich ein.

     
    Am Morgen wache ich mit Lindens Atem an meinem Hals auf. Mein Gesicht ist von ihm abgewandt, er drückt sich an meinen Rücken und hat seinen Arm um mich geschlungen. Ich liege absolut still, weil ich ihn nicht wecken will. Ich schäme mich für meine Verletzlichkeit letzte Nacht. An welchem Punkt hört diese Gute-Ehefrau-Nummer auf, lediglich eine Nummer zu sein? Wie lange mag es noch dauern, bis er mir sagt, er liebe mich – und bis er von mir erwartet, sein Kind auszutragen? Und schlimmer, wie lange mag es noch dauern, bis ich damit einverstanden bin?
    Nein. So weit wird es niemals kommen.
    Ich versuche dagegen anzukämpfen, aber Vaughns Stimme ertönt in meinem Kopf.
    Du wirst alles haben, wovon du träumst, viele, viele Jahre lang.
    Ich kann das hier haben. Ich kann Lindens Braut sein, in Lindens herrschaftlichem Haus. Oder ich kann wegrennen, so schnell und so weit ich kann. Und ich kann mein Glück versuchen und in Freiheit sterben.
    Drei Tage später, als die nächste Hurrikansirene loskreischt, breche ich durch das Fliegengitter vor meinem Schlafzimmerfenster.
    Ich schaffe es, mich an dem Baum vor meinem Fenstersims festzuhalten. Von dort kann ich mich in ein Gebüsch ein paar Meter tiefer fallen lassen. Es tut weh, aber ich habe mir nichts gebrochen. Ich arbeite mich heraus und laufe los, während hinter mir das Haus kreischt und der Wind einen seltsamen Grauton hat. Blätter und Haare wehen in meine Augen. Ist mir egal. Ich renne. Die Wolken pochen. Am Himmel blitzt es kränklich weiß.

    Mein Orientierungssinn ist weg. Ich sehe nur noch trübe, wütende Luft. Und es ist so laut, es wird nicht leiser, ganz gleich, wie schnell ich bin oder wie weit weg. Sand und Grasbüschel steigen wie verzaubert auf und tanzen chaotisch.
    Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergeht, aber ich höre, wie mein Name gerufen wird, zuerst einmal, dann öfter. Es klingt wie Pistolenschüsse. Ungefähr da stoße ich mit einer riesigen Eiswaffel zusammen. Der Minigolfplatz. Okay. Jetzt weiß ich, wo ich bin, und kann mich besser orientieren.
    Wie weit es bis zum Ausgang ist, weiß ich allerdings nicht. Ich bin in jedem der Gärten gewesen, auf dem Golfplatz, den Tennisplätzen, beim Pool. Ich bin sogar an den Pferdeställen vorbeigekommen, die seit Roses Krankheit leer stehen. Aber einen Ausgang habe ich noch nie gesehen.
    Ich presse meinen Körper an die Riesenkugel Schokoladeneis, während Äste an mir vorbeifliegen. Die Bäume wogen und heulen. Die Bäume! Wenn es mir gelänge, auf einen raufzuklettern, könnte ich weiter schauen. Es muss einen Zaun oder doch wenigstens Büsche geben, die ich noch nie gesehen habe. Eine verborgene Tür. Irgendwas.
    Ein Schritt und ich werde wieder gegen die Eiskugel geschleudert. Ich kriege keine Luft. Ich lasse mich auf den Boden fallen und versuche mich vom Wind wegzudrehen, sodass ich atmen kann, aber es gibt kein Entkommen. Er ist überall und wahrscheinlich sterbe ich genau hier.
    Keuchend drehe ich mich um, in den Sturm. Nicht mal
die Welt werde ich ein letztes Mal sehen, bevor ich sterbe. Nur Lindens seltsames Utopia. Die kreisenden Windmühlen. Das komische blinkende Licht.
    Licht. Ich denke, meine Augen spielen mir einen Streich, aber das Licht bleibt. Es dreht sich, schießt auf mich zu und folgt dann wieder seiner Kreisbahn. Der Leuchtturm! Mein allerliebstes Hindernis, weil es mich an die Leuchttürme am Hafen von Manhattan erinnert, die Lichter, die den Fischerbooten den Weg nach Hause zeigen. Es funktioniert auch in diesem Sturm noch und

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