Totentöchter - Die dritte Generation
Blut, auf einem Hof häufen sich auf dem Rücken liegende Ratten. Mit diesem Mann bin ich seit fast neun Monaten verheiratet, und ich dachte, er wisse gar nichts über mich, dennoch hat er meine Ängste in Bildern eingefangen. Nur Rowan fehlt noch, aber ich glaube sogar, er könnte der Mann unter dem Vollmond auf einer der Zeichnungen sein. Er ist in dem blutenden Haus und blickt zu dem Mond auf, während ich in dieser Luxusvilla auf denselben Mond blicke. Und beide fragen wir uns, ob es unserem Zwilling gut geht.
Mir ist übel und schwindelig, als wären meine Träume plötzlich in meine Hände gefallen. Die letzte Zeichnung ist unser Hochzeitspavillon, überzogen mit Spinnweben und voll blutiger Fingerabdrücke. Und anscheinend steckt ein Stück der Windmühle im Dach.
»Das warst nicht du «, sagt er. »So habe ich mich gefühlt, während du weg warst. Als ich nicht sicher war, ob du wieder aufwachen würdest.«
Ich starre auf eine ruinierte Ehe in den Trümmern dieses Pavillons. Der Verlust seiner Ersten Frau war Lindens größte Tragödie, und ich hatte keine Ahnung, dass die Vorstellung, mich zu verlieren, so beängstigend für ihn ist. In der Nacht vor meinem Fluchtversuch ist er in mein Bett geklettert, und ich konnte die Tiefe seiner Trauer um Rose spüren, als er in mein Nachthemd weinte. Obwohl es mein Ziel war, seine Gunst zu gewinnen und Erste Ehefrau zu werden, habe ich nicht geahnt, dass er mich genauso schätzt wie meine tote Schwesterfrau. Warum? Weil ich so aussehe wie sie?
Eine Weile sage ich nichts, blättere wieder und wieder durch dieselben Zeichnungen und nehme mir Zeit, jede einzelne zu betrachten. Seine typische Genauigkeit lässt alles so echt wirken. Ich kann in diese Häuser hineinsehen. In einem Zimmer häufen sich die Junibeeren, ein anderes scheint mit Straßenkarten tapeziert zu sein.
»Bist du wütend?«, fragt Linden. »Vielleicht hätte ich sie dir nicht zeigen sollen.« Er will die Blätter wieder an sich nehmen, doch ich halte sie fest.
»Nein«, sage ich und blinzele, als ich ein Haus voller Fische vor mir sehe. Es ist eine genaue Reproduktion meines Lieblingshologramms im Pool, aber die Haie schwimmen mit Gliedmaßen in den Mäulern herum, mit blutenden Armen und Beinen. »Die sind … erschreckend. Ich hatte keine Ahnung, dass du die Dinge so sehen kannst.«
»Ich … ich sollte das nicht.« Linden wird blass und
wendet den Blick ab. »Mein Vater sagt, ich solle Sachen entwerfen, die mehr …«
»Vergiss, was dein Vater sagt, er liegt falsch«, sage ich.
Linden sieht mich so erstaunt an, wie ich mich fühle. Das hatte ich nicht laut sagen wollen, aber nun, da ich schon seine Aufmerksamkeit habe, kann ich den Gedanken auch zu Ende führen. »Du solltest diese Dinge nicht für dich behalten. Du hast Talent. Schon klar, in einem Haus voller Bäume, Haie oder Blut will wohl niemand leben, aber in den anderen.«
»Dass irgendjemand in diesen Häusern leben will, habe ich mir auch nicht vorgestellt«, sagt er und zeigt auf den Stapel Albträume in meiner Hand.
»Offensichtlich«, sage ich.
»Darauf wollte ich hinaus. Vielleicht hat früher mal jemand in diesen Häusern gelebt.« Er zeigt auf die sorgfältig ausgearbeiteten Details rings um die Schwelle des Haihauses, wo es sogar einen Türklopfer gibt und klapprige Fensterläden, die einmal sauber und neu gewesen sind. Das Haus mit den Ratten im Hof hat ein Spalier mit verdorrten Rosen, die einst gediehen. »Aber irgendetwas ist schiefgegangen. Sie sind verkommen.«
Ich kann es sehen. Ich kann das hübsche Haus sehen, in dem meine Mutter geboren wurde, in einer schönen Stadt, die später den vielen Chemikalien erlegen ist … bis nicht mal mehr Blumen wuchsen. Ich kann eine Welt sehen, die voll von Ländern gewesen ist. Linden sucht in meinem Gesicht nach Verständnis, seine Augen sind ein wenig feucht, und ich nicke, weil ich verstehe. Ich verstehe, was diese Zeichnungen bedeuteten, und ich verstehe, warum er wegen ihnen weinen möchte.
»Stimmt«, sage ich. »Stimmt genau.«
Die Häuser sind verkommen, so wie die Welt verkommen ist.
Linden zeichnet nun mehr. Er zeichnet realisierbare Häuser und fragt mich nach meiner Meinung. Er sagt, bald werde er versuchen, sie zu verkaufen. Es fasziniert mich, dass ein Junge, der sein ganzes Leben an einem Ort gewohnt hat und kaum in die Welt hinausgeht, so überzeugend Orte zum Leben erwecken kann.
Nachmittags kommt Cecily und nimmt ihn mir ab. Dafür bin ich ihr
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