Totentrickser: Roman (German Edition)
sehen!«
»Von Anklopfen habt ihr wohl noch nichts gehört, was?«, erwiderte Selphyne und ließ das Artefakt in der Tasche ihrer Robe verschwinden. »Sagt der Matriarchin, wir kommen, sobald es sich einrichten lässt.«
»Die Matriarchin wünscht euch jetzt sofort zu sehen.«
»Dann wird sie sich eben gedulden müssen.«
»Ihr widersetzt euch also ihren Befehlen?«
»Seit wann ist denn von Befehlen die Rede?«, fragte Selphyne und stellte sich vor Nenia. »Ich habe euch gesagt, wir kommen, wenn wir es einrichten können.«
»Wie ihr wollt. So begegnet denn dem Blick des Sehenden Auges!«
Die Kultisten öffneten die Brustklappen ihrer Kutten.
Brom saß auf der Bank vor der Ritualkammer und trommelte einen zwergischen Marsch auf seinen Oberschenkeln.
Endlich öffnete sich die Tür, und Bruder Ugdal wankte heraus, gestützt von zwei Kultisten.
»Und«, fragte Brom. »Wie war’s?«
»Yrth yst yn myr und ych byn yn Yrth«, rezitierte der ehemalige Kaufmann dumpf, während ihn seine beiden Begleiter von dannen führten.
»So, Bruder Brom«, sagte Akolyth Severin, der seine Hände mit einem Handtuch abtrocknete. »Nun ist deine Zeit gekommen.«
Brom sprang auf.
»Ich kann’s kaum erwarten!«, freute er sich.
Fahle Dämmerung herrschte in der Ritualkammer, nur in der Mitte des Raums fiel hartes Licht von einer Deckenlampe auf einen Liegestuhl herab, um den fünf Kultisten in ihren weißen Kutten standen.
Ein sechster wischte gerade mit einem Feudel den Boden.
»Zieh bitte deine Kutte aus und nimm Platz, Bruder Brom.«
Severin deutete auf den Stuhl in der Mitte.
»Sehr gemütlich«, lobte Brom und machte es sich in dem Polster bequem, das mit einem merkwürdig raschelnden, durchsichtigen Stoff bezogen war. »Und was passiert jetzt?«
Die Kultisten drängten sich näher heran.
»Das wirst du gleich erfahren«, lächelte Akolyth Severin. »Doch zunächst: Begegne dem Blick des Sehenden Auges!«
»Es hat keine Wirkung auf sie!«
Zwölf Augen richteten ihre Blicke auf Nenia und Selphyne, und wer auch nur über die rudimentärsten Kenntnisse in Mathematik und Anatomie verfügte, musste unweigerlich zu dem Schluss gelangen, dass das genau vier Augen zu viel waren.
Vier Kultisten × Zwei Augen = Acht Augen, so sollte die Rechnung eigentlich lauten. [ Vereinfacht gesprochen, denn natürlich kann man Kultisten und Augen normalerweise eben so wenig miteinander multiplizieren wie die berühmten Äpfel und Birnen, selbst wenn es sich um Yrthianer handelt. ]
»Was seid ihr?«, fragte Selphyne zurückweichend.
Jeder der Kultisten hatte zusätzlich zu seinem gewöhnlichen Augenpaar ein etwa faustgroßes, schleimig glotzendes Auge auf der Brust, genau dort, wo sich die Klappe im Stoff ihrer Kutten befand.
»Der Blick des Sehenden Auges hat keine Wirkung auf sie!«, rief einer der Kultisten. »Erhöht die Hypnodosis!«
»Bleib hinter mir, Nenia. Und sieh nicht hin!«
Selphyne griff sich an die Stirn, hinter der ein stechender Schmerz pulsierte.
Yrth, Yrth, Yrth, wisperte ein Chor von dünnen Stimmen in ihrem Kopf.
Die Gnomenmagierin biss die Zähne zusammen und kämpfte den Schmerz nieder.
»Ist das schon alles, was ihr draufhabt?«
Dann hob sie die Hände, Blitze sprühten aus ihren Fingern hervor.
Vier Kultisten zappelten wie Marionetten, deren Puppenspieler einen schweren Anfall von Schüttelfrost erlitt, und sackten in sich zusammen.
Elektrizität knisterte über ihre leblosen Körper, Rauch stieg von ihren versengten Kutten auf.
»Du bist gar nicht so schlecht«, kommentierte Nenia. »Vielleicht lasse ich dich später in meiner Arena gegen wilde Bestien und Unholde kämpfen.«
Selphyne sah nachdenklich auf die erledigten Kultisten hinab. Die Augen in ihren Brustkörben hatten sich geschlossen und wirkten jetzt wie große, ekelhaft aufgequollene Geschwüre.
»Ich wüsste wirklich gern, womit wir es hier zu tun haben«, murmelte die Gnomenmagierin.
Plötzlich öffnete eines der Augen seine Lider.
Unruhig ließ es seinen glotzenden Blick umherschweifen, dann löste es sich, eine klaffende Wunde hinterlassend, mit einem schmatzenden Geräusch aus dem Torso des Kultisten.
Mit winzigen Tentakelbeinchen kroch es über den Boden auf Nenia zu und zog dabei eine Spur aus Blut und Schleim hinter sich her. An seiner Rückseite hatte das Wesen ein kreisrundes, zahnbewehrtes Maul, aus dem es zischende, geifernde Laute ausstieß.
»Vorsicht, Nenia!«, warnte Selphyne, doch die kleine Nachtelfe war
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