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Totentrickser: Roman (German Edition)

Totentrickser: Roman (German Edition)

Titel: Totentrickser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Oldenburg
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Viper, aufhielt.

Verderbnis
    Die Stadt Verderbnis liegt am südlichen Meer der Sonne, im Land Kaldurien, wo nicht bloß die Zitronen, sondern vor allem die politischen Intrigen blühen.
    Wer sich der Stadt von Norden nähert, durchquert auf dem Weg eine idyllische Landschaft mit weitläufigen Olivenhainen, Weinbergen und friedfertigen Dörfchen mit kleinen, weißgetünchten Häusern.
    Doch bereits während man sich noch in dieser unschuldig wirkenden Gegend aufhält, beschleicht einen die dunkle Ahnung, dass hier etwas im Verborgenen auf der Lauer liegt, etwas, das nur darauf wartet, dass man sich in sorgfältig ausgelegten Netzen verstrickt.
    Und dann, von der Kuppe eines Hügels hinabsehend, erblickt man die Stadt: zur Hälfte in die blauen Wellen des Meeres hinausragend, ein buntes Gewimmel aus schmalen Gassen, prachtvollen Palästen, Elendsunterkünften, weiten Plätzen und Kanälen, Arm und Reich, Gewinner und Verlierer in dichtester Nachbarschaft.
    Und man meint das vieltausendstimmige Getuschel und Gewisper zu vernehmen, mit dem dort unten zwielichtige Geschäfte ausgehandelt werden, sowohl in den Häusern der Reichen und Vornehmen als auch unter den Brückenbögen und in den schäbigen Quartieren der Armen, denn Ränkeschmieden und Intrigenspinnen sind Beschäftigungen, die sich in Verderbnis bei allen Gesellschaftsschichten höchster Beliebtheit erfreuen.
    Die Brise, die der Seewind herüberweht, ist keineswegs eine frische, sie schmeckt nach Fäulnis und Verfall, nach Verbrechen und Blut, doch ebenso nach erlesenen Gewürzen und Duftwassern, nach Triumph und Verzweiflung, Glanz und Elend, kurz: Sie schmeckt wie das nackte Leben selbst.
    Wer seine Stadt Verderbnis nennt, macht keinen Hehl daraus, dass er nicht viel auf Schamgefühle gibt, und so gilt die Metropole an der Blut-Bucht mit gutem Recht als das Weltzentrum der Unmoral, Hinterhältigkeit und Dekadenz.
    Einmal im Jahr, in den heißesten Wochen des Sommers, wenn die aus den Kanälen aufsteigenden Dünste ihre ganze betäubende Wirkung entfalten, zieht Verderbnis gewaltige Besucherströme aus allen Regionen der Fernen Länder an, denn in diese Zeit fällt das berühmt-berüchtigte Fest der Masken.
    Drei volle Tage und Nächte lang verwandelt sich die ganze Stadt – auch sonst ja alles andere als ein puritanisches Pflaster – in einen wahren Hexenkessel der Ekstase und des Rausches.
    Maskierte Horden ziehen durch die Straßen, enthemmt durch den schweren roten Wein, allerlei verbotene Rauschkräuter und den allgemeinen Taumel, grölen schwülstig-schwüle Lieder und tanzen bis zur Bewusstlosigkeit zu der süßlich-irrwitzigen Musik der Zimbeln, Mandolinen und Gitarren, die hier an jeder Ecke ertönt.
    Nicht bloß notorische Wüstlinge, sondern ebenso gewöhnliche Ogerfamilienväter, Buchhalterzwerginnen und Bausparergnome pilgern während dieser drei Tage nach Verderbnis, um sich im Schutz maskierter Anonymität ganz dem Laster zu ergeben und ihrer grauen Alltagsexistenz zu entfliehen.
    Wenn dann nachher der Rausch nachlässt und der Kater unsanft mit dem Vorschlaghammer an der Schädeldecke anklopft, packt zwar manch einen die Reue, aber auch das gehört schließlich dazu.
    Nach einer durchzechten Nacht in einem schmutzigen Hinterhof zu erwachen, das Gesicht in stinkendem Unrat und die Taschen bis auf die letzte Kopeke geleert – so was nennt man »sich mal eine kleine Auszeit vom Alltagstrott nehmen« und ist stolz darauf, zu Hause was erzählen zu können.
    Es kann natürlich auch vorkommen, dass man gar nicht mehr aufwacht, weil einem jemand, während man im fröhlichsten Delirium herumtorkelnd den Weltfrieden und die Verbrüderung mit allen seinen zwergischen Mitbrüdern und ogrischen Mitschwestern ausrief, ganz nüchtern einen Dolch zwischen die Rippen gesteckt hat – doch auch das ist Teil der Abmachung, zusätzliche Würze, die die Angelegenheit erst so richtig reizvoll macht.
    »Da wären wir«, sagte Brom, als sie durch das Stadttor eintraten. »Verderbnis. Haltet eure Geldbeutel fest, Leute.«
    »Ich frage mich, ob es wirklich eine gute Idee war, während des Maskenfests herzukommen«, zweifelte Selphyne.
    Das Fest war zwar noch nicht im Gang, aber die Vorbereitungen liefen bereits auf Hochtouren. Gaukler und Schausteller bauten in den Straßen ihre Buden auf, in Kellern und Dachkammern hörte man Musikanten ihre Stücke einüben, im Minutentakt passierten neue Weinlieferungen das Stadttor, riesige Eichenfässer, deren dunkelroter

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