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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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mehr Informationen von ihr zu bekommen, wobei Katya ohnehin keine Hilfe gewesen wäre, weil sie kein Englisch sprach, und schließlich, dass er überhaupt keine Veranlassung hatte, das zu tun, weil er ja kein Ermittler war.
    Miriam wartete bereits vor dem Haus, und als sie ihn erblickte, winkte sie. Sobald er am Bordstein hielt, lief sie zum Auto, nahm auf dem Beifahrersitz Platz und dankte ihm atemlos für seine Hilfe. Er fuhr unverzüglich los, damit er nicht einfach bloß dasaß wie vom Donner gerührt.
    Nachdem Miriam ihm die Adresse genannt hatte, lehnte sie sich in dem bequemen Sitz zurück und versuchte, sich zu entspannen. Es verunsicherte sie, mit diesem großen, schweigsamen Fremden im Auto zu sitzen, der ihr einen Riesengefallen tat. Das Einzige, was er bislang zu ihr gesagt hatte, war »Keine Ursache«, als sie sich bei ihm bedankt hatte. Sie war wahrhaftig an reserviertes Verhalten von Männern gewöhnt, aber Nayirs versteinertes Schweigen schüchterte sie ein, weil es so gewaltige und unerforschliche kulturelle Unterschiede ahnen ließ.
    Als er sie am Straßenrand gesehen hatte, waren seine Augen blitzschnell von ihr weggehuscht und hatten sich auf diesen rätselhaften Punkt oberhalb ihres Kopfes konzentriert, den sie für sich selbst als ihren »Heiligenschein« bezeichnete, die Stelle, auf die gläubige Männer ihren Blick richteten, wenn sie einer Frau nicht ins Gesicht sehen wollten. Ein Verkäufer in dem Laden an der Ecke machte das jedes Mal, wenn sie bei ihm Milch kaufte. Miriam hatte sich schon bei Sabria darüber beklagt, weil das Verhalten sie kränkte.
    »Aber es ist doch ein Kompliment«, hatte Sabria lächelnd geantwortet. »Du bist so schön, dass es für einen Mann eine große Versuchung wäre, dir ins Gesicht zu schauen.«
    Gibt’s tatsächlich Leute, die das glauben? , fragte Miriam sich. Irgendwie konnte sie sich nicht vorstellen, dass Nayir bei ihrem Anblick schlüpfrige Gedanken hatte. Sein Heiligenschein-Blick kam ihr routinemäßig vor, ein anerzogenes Verhalten. Gestern hatte er einen anderen Eindruck auf sie gemacht. Er war nervös gewesen, ja, aber sein Gesichtsausdruck hatte offen und mitfühlend gewirkt. Das war der Hauptgrund dafür gewesen, dass sie sich getraut hatte, ihn heute um diesen Gefallen zu bitten.
    Jetzt sah sie ihm an, dass er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte.
    »Ich hatte kein Geld für ein Taxi«, gestand sie. »Wir müssten kurz an einem Geldautomaten halten, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
    »Gern«, sagte er.
    »Und ich würde Sie gern bezahlen«, fügte sie hinzu.
    »Das sollten Sie nicht mal anbieten«, sagte er dunkel. Er wirkte beleidigt, also ließ sie das Thema fallen.
    Kurz darauf hielt er vor einer Bank und stieg doch tatsächlich aus, um sie zum Geldautomaten zu begleiten. »Sie sollten Ihren Neqab herunterlassen«, sagte er.
    »Ich weiß«, sagte sie, »aber ich bin von Natur aus der ungeschickteste Mensch, den Sie sich vorstellen können. Bis jetzt hab ich Sie noch nicht verletzt, also belassen wir’s dabei.« Ohne weitere Erläuterung, wie sie das genau gemeint hatte, ließ sie ihn stehen und ging zum Geldautomaten. Während sie noch daran herumhantierte, trat er neben sie, lehnte sich an die Wand und richtete die Augen zu Boden.
    »Wo soll ich Sie hinbringen?«, erkundigte er sich.
    »SynTech«, sagte sie. »Da arbeitet mein Mann.«
    Er hielt den Blick weiter gesenkt, aber ein leichtes Straffen der Schultern, eine neue Spannung im Hals verriet ihr, dass sich seine Aufmerksamkeit neu auf sie konzentrierte. »Ist das eine amerikanische Firma?«, wollte er wissen.
    »Nein, aber einer von den Chefs ist Amerikaner. Der andere ist Saudi.«
    »Weiß man dort, dass Sie kommen?«
    »Ich habe mich nicht angemeldet«, sagte sie. »Wieso?«
    Er schaute weg, während sie ihre Geheimzahl eintippte. Dann sagte er: »Haben Sie die Leute dort vom Verschwinden Ihres Mannes unterrichtet?«
    »Ja. Aber die waren nicht sonderlich hilfreich. Keiner konnte mir irgendwas sagen.«
    »Warum wollen Sie dann dorthin?«
    Sie steckte ihre Karte und das abgehobene Geld ins Portemonnaie. »Ich hab das Gefühl, dass man dort irgendwas weiß«, sagte sie trotzig und ging zurück zum Wagen.
    Nayir wartete geduldig, bis sich eine Lücke im Verkehr auftat, und fädelte sich dann ein. Miriam sah die Welt vorbeigleiten, meilenweit nur uniforme Mietshäuser, gedrungene, hässliche Bürotürme und lang gestreckte Fabriken. Als sie auf die Hochstraße in die Stadt kamen, bot

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