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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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ein wenig deplatziert. Miriam erkannte Taylor Shaw, Erics amerikanischen Boss. Er war groß und stämmig, mit einem flächigen Gesicht, einem buschigen blonden Haarschopf und grobschlächtigen Händen, die unablässig in Bewegung waren. Sie war ihm auf einer Party im amerikanischen Compound vorgestellt worden und hatte ein paar Worte mit ihm gewechselt. Shaw war einer dieser geselligen, lebensprühenden Menschen, die anscheinend drei Gespräche auf einmal führen können. In seinem Büro wirkte er natürlich zurückhaltender, strahlte aber dennoch eine mühsam gebändigte Energie aus.
    Shaw schien sie nicht zu erkennen, was sie aber nicht sonderlich beruhigte. Ihre hellen Hände verrieten den meisten Menschen, dass sie keine Araberin war, daher zog sie die Ärmel darüber. Sie senkte den Kopf und hielt den Blick zu Boden gerichtet, um möglichst unterwürfig zu wirken. In dem hellen Raum und mit ihrem dünnen Neqab war nicht auszuschließen, dass Shaw in einem bestimmten Blickwinkel die Konturen ihres Gesichts erkennen könnte.
    »Bitte nehmen Sie Platz«, sagte Shaw. Nayir und Miriam setzten sich in die Sessel vor dem Schreibtisch. Obwohl er Amerikaner war, kannte Shaw die saudischen Sitten, daher würdigte er Miriam keines Blickes, als wäre sie gar nicht da.
    »Wie ich höre, haben Sie sich nach Eric Walker erkundigt«, sagte er.
    »Ja«, sagte Nayir. »Ich bin hier, weil ich wissen möchte, wo er ist.«
    »Das würden wir auch gern wissen«, sagte Shaw. »Eric ist seit einem Monat nicht mehr hier gewesen.«
    Miriam hätte beinahe ihren Neqab gehoben und Was? geschrien.
    Nayir blickte verwirrt. »Hatte er Urlaub?«
    »Er hat unbezahlten Urlaub genommen, sollte aber vor drei Tagen wieder zur Arbeit erscheinen, was er nicht getan hat. Seine Frau hat uns einige Male angerufen. Anscheinend weiß sie auch nicht, wo er ist.«
    »Haben Sie irgendeine Ahnung, wo er sich aufhalten könnte?«, fragte Nayir.
    Shaw lehnte sich zurück und musterte seinen Gast. »Darf ich fragen, warum Sie ihn suchen?«
    »Ich bin an einer polizeilichen Ermittlung beteiligt, bei der es um seinen Vermieter geht«, antwortete Nayir ruhig. »Die einzige bekannte Adresse des Vermieters war die von Mr Walker. Als wir dann feststellten, dass Mr Walker vermisst wird, dachten wir, wir gehen der Sache besser nach. Ich glaube zwar nicht, dass da ein Zusammenhang besteht, aber wir möchten das abklären.«
    Shaw blickte ganz kurz zu Miriam hinüber und fragte sich offenbar, ob sie auch bei der Polizei war. Sie war beeindruckt, wie gelassen Nayir soeben eine plausible und harmlose Erklärung aus dem Ärmel gezaubert hatte. Ihre eigenen Gedanken kreisten unaufhaltsam um schlimmstmögliche Szenarien.
    Shaw beugte sich wieder vor. »Also davon weiß ich nichts«, sagte er. »Normalerweise wohnen meine ausländischen Mitarbeiter in einem Compound. Eric war da eine Ausnahme, aber ich weiß nichts Genaueres über seine Lebensumstände. Warum ermitteln Sie denn gegen seinen Vermieter?«
    »Das ist leider vertraulich.« Nayirs Gesicht war plötzlich ein Bild der Autorität geworden. Shaw verkraftete die Abfuhr nicht gut und betrachtete Nayir mit einer amüsierten Miene, die schon fast herablassend wirkte.
    »Hat Mr Walker irgendwas darüber gesagt, wie er seinen Urlaub verbringen will?«, fragte Nayir.
    »Nein.«
    »Gibt es jemanden hier in der Firma, der wissen könnte, wo er hinwollte?«, hakte Nayir nach. Sein gesamtes Verhalten war schroffer geworden, und eine bedrohliche Aura schien sich im Raum auszubreiten.
    »Im Augenblick nicht«, sagte Shaw kühl. »Aber ich werde mich umhören.« Miriam bezweifelte das.
    »Hat Mr Walker sich irgendwie ungewöhnlich benommen, ehe er seinen Urlaub antrat?«, fragte Nayir.
    »Ist mir damals nicht aufgefallen.« Shaw stand auf und ging zu einem Aktenschrank in der Ecke. »Aber einiges von unserem Überwachungsequipment ist verschwunden – genauer gesagt, kurz nachdem er in Urlaub gegangen ist, haben wir festgestellt, dass was fehlt. Anfänglich hab ich nicht gedacht, dass er was damit zu tun hat, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.« Er nahm eine Akte heraus, kam zurück an den Schreibtisch und reichte sie Nayir.
    »Wie viel Equipment ist verschwunden?«, fragte Nayir.
    »Im Wert von fünftausend Dollar – das sind ungefähr zwanzigtausend Rial.«
    »Und wie kommen Sie darauf, dass Mr Walker es genommen haben könnte?«
    Shaw zuckte die Achseln, eine heftige Bewegung, die sein Jackett gut zehn Zentimeter

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