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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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setzte sich an den Tisch.
    »Das ist doch selbstverständlich«, sagte Bashir. »Ich bin zutiefst erschüttert. Die Familie muss am Boden zerstört sein.«
    Leicht verwundert über Bashirs Ruhe schlug Osama eine Akte auf.
    »Stehe ich unter Verdacht?«, erkundigte sich Bashir.
    »Ich muss Ihnen nur ein paar Fragen stellen«, erwiderte Osama. »Wir möchten etwas mehr über Leila wissen.«
    Beim Klang ihres Namens erstarrte Bashir einen Moment. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen da groß helfen kann. Ich hab sie seit … März nicht mehr gesprochen.«
    Osama ließ sich Zeit damit, den Kassettenrecorder einzustellen und die Formalitäten abzuhandeln. Bashir schaute mit wachsendem Unbehagen zu.
    »Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«, fragte Osama.
    »Das genaue Datum weiß ich nicht mehr. Sie kam in den Laden. Wir haben uns unterhalten, und sie ging wieder.« Osama nahm die erste leichte Verstimmung im Tonfall des Mannes wahr.
    »Sie meinen das Café unter der Wohnung Ihres Bruders?«
    »Ja.«
    »Kam sie oft dorthin?«, fragte Osama.
    »Nein. Nur wenn sie Geld brauchte.«
    »War das häufiger der Fall?«
    »Kam mir so vor, aber eigentlich nein. Etwa einmal im Monat.«
    Osama nickte nachdenklich. »Da waren Sie schon geschieden.«
    Bashir lachte leise. »Klar. Als wir verheiratet waren, musste sie nicht um Geld betteln. Da musste ich es einfach hinblättern.«
    Osama hörte die Eröffnungstakte einer vertrauten Sinfonie – die Klage, dass Frauen ständig Geld wollten. Dass Frauen faul waren. Gierig. Sie gingen ihren Ehemännern mit der Bettelei um Geld auf die Nerven, und dann vergeudeten sie es sinnlos. Viele Männer erwarteten von ihren Frauen, dass sie zu Hause blieben, und beschwerten sich dann, weil sie sie ernähren mussten. Ein größeres Klischee gab es wohl kaum.
    »Haben Sie ihr Geld gegeben?«
    »Nein.« Bashir verzog angewidert das Gesicht. Osama konnte förmlich hören, wie die Sinfonie lauter wurde. »Ihre Familie war reich«, sagte Bashir. »Ihr Bruder hätte mich als Sklaven kaufen können, und da kommt sie zu mir und will Taschengeld? Welche Frau macht so was?« Sein Gesicht rötete sich allmählich, aber seine Stimme blieb beherrscht.
    »Gab es eine Scheidungsvereinbarung?«
    Bashir holte tief Luft. »Nun ja, laut Ehevertrag sollte ich ihr ungefähr eine Million Rial zahlen.« Er stieß ein bellendes Lachen aus. »Aber wissen Sie, wir wollten beide die Scheidung. Also hat sie auf das Geld verzichtet. Wenige Wochen nach der Scheidung kam sie dann zum ersten Mal ins Café und hat um Kohle gebettelt. Sie hat versucht, mir ein schlechtes Gewissen einzureden, hat sogar gedroht, mich wieder vor Gericht zu zerren.«
    Osama nickte. »Hat Sie das beunruhigt?«
    »Nein.« Bashir schien amüsiert. »Sie hätte mich ruhig verklagen können, aber ich hätte trotzdem kein Geld gehabt.« Er wirkte hart, die Arme vor der Brust verschränkt, einen finsteren Ausdruck in dem dünnen Gesicht, doch darunter verbarg sich all die Unsicherheit des mittellosen Immigranten.
    »Sie waren nicht lange verheiratet – zweieinhalb Monate, richtig?«, fragte Osama.
    Bashir zuckte die Achseln. »So ungefähr.«
    »Wie kam es überhaupt zu der Heirat?«
    »Ihre Mutter hat das arrangiert. Meine Mutter und Leilas kannten sich seit ihrer Kindheit. Sie waren gut befreundet. Sie lebten beide in Damaskus, und ihre Mutter, die gestorben ist, hatte vor ihrem Tod nur einen Wunsch: dass Leila glücklich und zufrieden unter die Haube kommt. Leila war ihre einzige Tochter.« Bashir hatte die Arme ausgebreitet. Einer ruhte entspannt auf dem Tisch, der andere auf seinem Knie. Diese gelöste Körperhaltung war ungewöhnlich für jemanden, der vernommen wurde. Osama musste unwillkürlich denken, dass Bashir ihm nichts vorspielte und er sich tatsächlich hier so wohlfühlte, als säße er mit Freunden zusammen in seinem eigenen Wohnzimmer. Entweder war Bashir ein ungemein talentierter Schauspieler oder er hatte nichts zu verbergen.
    »Das hört sich jetzt seltsam an«, fuhr Bashir fort, »aber ich glaube, wir haben geheiratet, um ihrer Mutter eine Freude zu machen. Sie hatte Krebs im Endstadium, und wir wollten nur, dass sie glücklich ist. Eine Woche nach ihrem Tod haben wir uns scheiden lassen.«
    »Dann war es also eine Zweckehe.«
    »Ja.«
    »Haben Sie sich gut mit Leila verstanden?«
    Er schüttelte schwermütig den Kopf. »Nein.«
    »Zu unterschiedliche Persönlichkeiten?«
    Bashir schnaubte leise. »Das kann man wohl sagen. Sie hatte ein

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