Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
Vom Netzwerk:
ausgeprägtes Sendungsbewusstsein. Sie würde irgendwen retten. Sie würde eine berühmte Filmemacherin werden. Sie würde irgendwen beeindrucken. Es war völlig egal, was sie sich gerade vorgenommen hatte, sie ging alles so an, als wäre sie der letzte Held auf dieser Welt.« Er spitzte die Lippen und wählte seine nächsten Worte mit Bedacht. »Das ist ein bewundernswerter Charakterzug, aber einer, mit dem sich schlecht zusammenleben lässt. Ich will es mal so ausdrücken: In unserer Beziehung ging es nie um uns, weil sich bei Leila immer alles nur um Leila drehte. Verstehen Sie, egal, was sie tat, es diente irgendeinem höheren Zweck. Dagegen kommt man einfach nicht an.«
    »Lassen Sie mich raten. Hausarbeit war bestimmt unter ihrer Würde«, sagte Osama verschwörerisch. Bashir nickte. »Ich glaube, den Typ Frau kenne ich«, fuhr Osama fort. »Emanzipiert. Wild entschlossen, sich selbstständig zu machen, aber es wird nie was draus. Derweil brauchen sie aber andauernd Geld, und auf einmal ist keine Zeit mehr dafür da, das Haus sauber zu halten oder zu kochen oder Kinder großzuziehen. Und wenn man sie deswegen zur Rede stellt, haben sie irgendwelche Sprüche auf Lager, mit denen sie einem ein schlechtes Gewissen machen.« Mittlerweile hatte er eindeutig Bashirs Sympathie gewonnen. War nicht besonders schwer gewesen. »Und eines Morgens wacht man auf und begreift, dass man ein Kind geheiratet hat.«
    Bashir stieß ein trockenes, freudloses Lachen aus. »Genauso war es. Ich meine, war es denn wirklich zu viel verlangt, dass sie hin und wieder mal die Wäsche machen sollte?«
    »Sie hat nicht mal Wäsche gewaschen?«
    »Nicht ein einziges Mal«, sagte Bashir.
    Osama blickte bestürzt. »Wenigstens das tut meine ab und an mal.«
    »Sie hat nicht einen Schlag gemacht«, sagte Bashir. »Bloß mein Geld ausgegeben. Und nach den ersten paar Nächten war auch in anderer Hinsicht Sense, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sie hat gesagt, ihr wär einfach nicht danach.«
    »Glauben Sie, sie hatte einen anderen?«
    »Nee.« Bashirs Lippen verzogen sich hämisch, und er beugte sich vor. »So ichbezogen, wie sie war, waren Männer für sie doch immer nur Mittel zum Zweck.«
    »Und der war Geld«, stellte Osama fest.
    »Ja.«
    Eigentlich hätte Osama stolz sein müssen auf den Schachzug, der ihm gerade gelungen war. Die Solidarisierung mit dem geplagten Ehemann einer selbstsüchtigen Frau war immer eine von Rafiqs Lieblingsstrategien gewesen. Aber stattdessen bedrückte ihn das Ganze. Bashir und Leila hatten überhaupt nicht zueinander gepasst. Leila wollte eine Unabhängigkeit, die Bashir ihr ganz offensichtlich nicht geben konnte. Gewiss, er hätte vermutlich akzeptiert, wenn sie arbeiten gegangen wäre. Wahrscheinlich hätte er das zweite Einkommen sogar begrüßt. Aber alles, was er über Leila gesagt hatte, musste jetzt im Licht dieser ehelichen Unverträglichkeit betrachtet werden. Leila war sicherlich enttäuscht darüber gewesen, einen so armen Mann geheiratet zu haben, wo ihre eigene Familie doch wohlhabend war. Bestimmt hatte sie mehr Freigebigkeit erwartet. Bestimmt war sie ihm gegenüber nicht ehrlich gewesen – was sie selbst oder ihre Gefühle anging oder vielleicht ihre wirklichen Pläne.
    Osama beugte sich über die Akte, die er mitgebracht hatte – ein Requisit, mehr nicht –, und tat so, als suchte er nach etwas. Er musste ein Bild vertreiben, das gerade vor seinem geistigen Auge aufgetaucht war: Nuha, wie sie in ihrer ersten gemeinsamen Nacht ihren Neqab hob und Erregung seinen Körper wie ein Stromstoß durchfuhr. Sie war ganz gelassen geblieben, hatte ihn sogar verspielt angelächelt. Sie trug normalerweise keinen Neqab, war auch während der Hochzeitszeremonie größtenteils unverschleiert gewesen. Sie zählte zu jenen resoluten Frauen, die es unnötig fanden, in Dschidda einen Neqab zu tragen. Es war eine aufgeschlossene Stadt, anders als Riad. Kopftuch, ja; aber Neqab? Lächerlich. Doch in jener Nacht, ihrer ersten gemeinsamen Nacht, trug sie ihn, und als sie ihn vom Gesicht hob, wäre Osama fast geplatzt. Es war das Gefühl, dass sie sich ihm gerade vollkommen geöffnet hatte, was eigentlich verrückt war, weil er sie ja längst kannte. Sie schon liebte. Ihre Ehe war nicht auf traditionelle Art zustande gekommen, ohne jede Einmischung der Eltern. Sie waren sich über Bekannte begegnet und hatten einander ausgesucht. Sie hatten Zeit miteinander verbracht, sich besser kennengelernt, die

Weitere Kostenlose Bücher