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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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»Erst, wenn ich sie aufgeschnitten hab.«
    »Sind diese Verbrennungen vor Eintritt des Todes …?«
    Ibrahim schnaubte. »Ja.« Dann fügte er fast beiläufig hinzu. »Ich hab schon Schlimmeres gesehen.«
    Osama wusste, dass alles, was er jetzt erfragte, ohnehin später wahrscheinlich revidiert werden würde. Ibrahim war an Tat- und Fundorten immer angespannt, vor allem, wenn eine Frau das Opfer war.
    »Und ich vermute mal, ihre Hände wurden in irgendwas eingetaucht«, sagte Osama. »Heißes Speiseöl vielleicht?«
    Ibrahim wandte sich wortlos ab.
    Drei Schritte entfernt war eine Fläche mit Fähnchen abgesteckt worden, ein verkohlter, rechteckiger Bereich, umringt von halb verbrannten Holzkohlestückchen. Vielleicht hatte dort jemand ein Picknick gemacht, mit Lagerfeuer. Osama stand auf und ging zu Majdi.
    »Was hat die Spurensicherung für mich?«, fragte Osama.
    »Bei den Verbrennungen an Gesicht und Händen dachte ich – na ja, da hat schließlich jemand ein Feuer gemacht.« Majdi lag auf den Knien und durchkämmte einen Sandabschnitt mit behandschuhten Händen. Seine Brille war ihm auf der verschwitzten Nase nach unten gerutscht. Er blickte kurz auf, wandte sich dann aber wieder dem Sand zu und suchte weiter, wie ein Kind, das nicht aufhören will zu spielen. »Wir haben den üblichen Strandabfall – Zigaretten, Flaschen, Schaumstoffstücke –, aber ansonsten bislang nichts, ehrlich gesagt.«
    »Denken Sie, die Täter haben ein Picknick gemacht?«
    Majdi zuckte die Achseln. »Ich kann Ihnen später mehr sagen. Wir wissen ja auch noch nicht, wer die Tote ist. Sie hatte kein Handy dabei, keinen Ausweis, nichts. Vielleicht, aber nur vielleicht, finden wir verwertbare Fingerabdrücke.« Er räusperte sich rau und schüttelte den Kopf.
    Osama graute davor, wieder mal die Vermisstenakten durchforsten zu müssen. Fast immer handelte es sich um Frauen – hauptsächlich Hausmädchen –, die ihre Arbeitgeber wegen schlechter Bezahlung verlassen hatten, wegen unwürdiger Arbeitsbedingungen. Die Sklaverei war 1967 im Königreich verboten worden, was aber nichts an der Tatsache änderte, dass sie mancherorts unter dem beschönigenden Namen Haushaltshilfe nach wie vor existierte. Es gab landesweit ungefähr 20 000 weggelaufene Hausmädchen, viele in Dschidda, und nicht mal die Hälfte von ihnen war gemeldet. Aber selbst wenn es nur zwei wären, so wären das noch immer zu viele alleinstehende Frauen, die sich ohne Geld, Nahrung, Unterkunft oder gültige Aufenthaltserlaubnis durchschlugen. Und überhaupt, falls Eva von ihren Arbeitgebern ermordet worden war, würden die sie wohl kaum als vermisst melden. Bitte nicht schon wieder ein Hausmädchen . Rational war ihm klar, dass es nicht schlimmer wäre als jeder andere Mord, aber bei einem Hausmädchen kam noch manch andere Abscheulichkeit hinzu: Das Opfer war weit von seiner Familie und seiner Heimat entfernt, es war in den meisten Fällen körperlich, sexuell oder emotional missbraucht worden und hatte immer unter dem Joch von Fremden gelebt, die sich für überlegen hielten.
    »Könnte sie hier an Land gespült worden sein?«, fragte er die beiden Männer.
    Majdi schaute rasch zu Ibrahim hinüber, der seinen eigenen düsteren Gedanken nachhing, und schüttelte dann stumm den Kopf in Osamas Richtung. Es war ein offenes Geheimnis unter den Kollegen, dass Majdi ohne Weiteres Ibrahims Arbeit erledigen könnte, vielleicht sogar besser, aber Ibrahim ärgerte es, wenn Majdi in sein Revier eindrang. Wenn er einen guten Tag hatte, ignorierte er es einfach, und anscheinend war heute so ein Tag.
    Osama blickte auf Evas Jeans hinunter, die sich sand- und salzverkrustet um ihre Knöchel bauschte. »Irgendwer hat ihr die runtergerissen. Habt ihr Haare oder Fasern daran gefunden?«
    »Noch nicht«, sagte Majdi. Er stand mit hochrotem Gesicht auf und wischte sich die Hände ab. »Ich fürchte, das Meerwasser hat alles weggespült, aber das kann ich erst im Labor feststellen.« Er lächelte schwach. »Sie trägt außerdem ein T-Shirt mit Metallica-Aufdruck.«
    Osama betrachtete den Leichnam erneut. Das T-Shirt wurde von dem Umhang verdeckt. »Hausmädchen tragen normalerweise keine Metallica-T-Shirts«, sagte er mit einem Anflug von Hoffnung.

5
     
    Nayir wusste, dass er keinen Bissen herunterbekommen würde, aber er bot trotzdem an, das Abendessen zu machen. Sein Onkel Samir sah blass aus, und er hatte das Gefühl, dass der alte Mann Gesellschaft brauchte. Er hatte früher am

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