Totenverse (German Edition)
lange Pause trat ein. »Hallo?«
Mrs Marx war die Unterbrechung offensichtlich unangenehm und sie starrte in ihre Kaffeetasse. Nayir beobachtete, wie ihre Finger nervös am Tassenrand zuckten. Er konnte, so fiel ihm auf, das Gesicht der Frau mühelos studieren, bildete sich sogar ein, ihr Mienenspiel deuten zu können. Das gab ihm ein berauschendes Gefühl von Macht.
»Hallo? Miriam?«
Nayir und Mrs Marx fuhren beide auf.
»Miriam? Können Sie mich hören?«
»Ist sie das?«, fragte Mrs Marx aufgeregt. »Wo ist sie?«
Nayir wusste, dass es ein Trick war. Es musste einer sein, weil Miriam gar nicht Osamas Nummer hatte. Aber er staunte, mit welcher Überzeugungskraft Osama seine Rolle spielte. Jetzt legte er eine Hand über die Sprechmuschel. »Sie antwortet nicht«, flüsterte er. »Hört sich an, als wäre sie in einem Auto. Ich hab im Hintergrund eine Hupe gehört.« Angespannte Stille trat ein. Nayir schielte zu Mrs Marx hinüber, um festzustellen, ob sie auf die Finte hereinfiel. Ihr Gesicht war angstverzerrt.
»Können Sie sie auf Lautsprecher legen?«, fragte sie.
Osama schüttelte den Kopf, lauschte offenbar konzentriert. »Sie spricht mit jemandem«, flüsterte er. »Aber sie hat keinen Namen genannt.« Wieder eine Pause. »Sie fragt, wo er sie hinbringt.«
Die Pausen wurden wiederholt von Mrs Marx’ leisen Seufzern durchbrochen. Nayir musste seine Mimik unter Kontrolle halten. Wenn ihm schon keine erstaunte Miene gelang, wollte er wenigstens nicht skeptisch dreinblicken. Allem Anschein nach machte er seine Sache gut, denn als Mrs Marx in seine Richtung schaute, wurde der Ausdruck in ihrem Gesicht noch panischer.
»Ich kann nicht verstehen, was sie sagen«, flüsterte Osama. »Sie muss das Handy in der Tasche haben.«
»Ist sie entführt worden?«, fragte Mrs Marx ängstlich.
Osama blickte sie nervös an, antwortete aber nicht.
»Moment, Moment«, flüsterte er, »sie hat seinen Namen genannt. Maybus?«
»Mabus!«, zischte Mrs Marx. »Apollo Mabus!«
Osama nickte. »Sie bittet ihn, sie nach Hause zu bringen … Er hat Nein gesagt … Sie bettelt.« Plötzlich schoss Osama vom Tisch hoch, und Mrs Marx wäre fast vom Stuhl gefallen.
»Er – oh Gott. Miriam! «, rief Osama. Er starrte auf sein Handy. Offenbar war die Verbindung unterbrochen worden.
Nayir stand auf und versuchte, möglichst besorgt auszusehen. Osama rief sofort im Präsidium an. »Hallo, Majdi? Stellen Sie fest, von wo zuletzt auf meinem Handy angerufen wurde.« Er blickte wild um sich. »So schnell wie möglich«, sagte er. »Ich glaube, Miriam Walker wurde entführt … Eine Stunde? Das ist viel zu lange! Sie wurde entführt. Sie wissen doch, was das heißt. Uns bleiben nur ein paar Stunden, bevor … Schon gut, schon gut. Rufen Sie mich an, wenn Sie was haben.«
Er legte auf und konzentrierte sich sofort auf Mrs Marx. »Wer ist Apollo Mabus?«, wollte er wissen.
»Das ist dieser grässliche Freund von Jacob!« Sie hielt ihre Kaffeetasse umklammert wie einen Rettungsring. »Ein grässlicher Geheimniskrämer! Wahrscheinlich macht der irgendwas Illegales!« Sie stand unsicher auf. »Sind Sie sicher, dass er das war?«
»Sie hat ihn jedenfalls mit Mr Mabus angesprochen.«
»Mabus.« Patty Marx blickte zu Boden, und ihr Gesicht nahm einen Ausdruck von Nachdenklichkeit an, wie ihn wohl Menschen auf der ganzen Welt haben konnten. »Der Mann ist gefährlich, das habe ich immer gewusst. Jacob hätte sich nie mit ihm einlassen sollen.« Sie sah zu den beiden Männern hoch, und jetzt war ihr Blick entschlossen. »Jacob ist heute Morgen in die Wüste gefahren. Er hatte erfahren, dass die Polizei hinter Eric her ist, und er weiß, dass Eric diese Frau nicht umgebracht haben kann. Er meint, Eric versteckt sich draußen in der Wüste, aber das ist doch unsinnig!« Ihre Stimme wurde immer schriller. »Ich habe ihn gefragt, wieso Eric denn wohl in die Wüste abmarschieren und seine Frau hier hilflos zurücklassen sollte? Darauf wusste er auch keine Antwort. Ich traue Eric so was ehrlich nicht zu, aber man weiß ja nie. Und jetzt sucht Jacob nach ihm …« Sie schluckte schwer. »Vielleicht ist Miriam tatsächlich von Mabus entführt worden, und er bringt sie jetzt in die Wüste. Sie müssen ihm nach. Jacob könnte da draußen sein!« Sie machte ein paar Schritte auf die Männer zu, und Nayir musste den Impuls unterdrücken, zurückzuweichen.
»Wo genau wollte Ihr Mann hin?«, fragte Osama.
»Ich weiß nicht
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