Totenverse (German Edition)
beobachtet hatte, kletterte sie nach hinten und kniete sich neben dem Ausrüstungsberg auf die Rückbank.
Der Kofferraum sah viel zu klein aus, als dass ein Kamel hineingepasst hätte. Mit lautem Tosen schwang die Hecktür auf, und sogleich drang Sandgestöber in den Wagen. Sie blinzelte dagegen an. Nayir zog zwei große Kanister heraus, die wahrscheinlich Treibstoff enthielten, und stellte sie ab. Das magere alte Kamel stand direkt neben ihm und schaukelte im Wind wie ein Papierdrachen. Nayir reichte ihr die Zügel, und sie begann zu ziehen, doch das Tier scheute zurück. Miriam zog fester.
Das Kamel wehrte sich. Nayir beugte sich vor und versuchte, die Stute dazu zu bringen, auf die Kanister zu steigen, doch sie schüttelte widerwillig den Kopf und tänzelte nervös. Der Wind trieb massenhaft Sand ins Auto. Sie waren so nah am Fuß der Düne, dass es aussah, als würde eine Reihe von Männern direkt hinter Nayir stehen und eimerweise Sand in den Kofferraum schütten. Miriam sah mit Schrecken, dass die Beine des Kamels knietief im Sand steckten, und es tänzelte, um die Füße freizubekommen.
Miriam zerrte mit aller Kraft, doch es half nichts. Sie stieg aus dem Wagen, stellte sich auf die andere Seite des Kamels, doch als sie sich gleichzeitig mit Nayir bückte, um die Beine des Tieres zu packen und in den Kofferraum zu heben, verängstigten sie es nur noch mehr. Es sprang auf und ab, schüttelte den Kopf und stieß schreckliche heisere Laute aus. Miriam wollte wieder nach den Zügeln greifen, aber sie erntete einen festen Tritt gegen das Bein und fiel nach hinten, in einen Strudel aus Sand.
Sie schrie und hatte den Mund augenblicklich voll Sand. Sie wollte sich aufsetzen, ehe der Sand sie verschluckte, ruderte mit den Armen und drehte sich auf den Bauch, wodurch noch mehr Sand unter ihr Kopftuch drang. Er strömte herein wie Wasser, und sie kam unsicher auf die Knie, spuckend und blinzelnd. Sie konnte nichts mehr sehen. Sie stand auf, doch der Wind riss so heftig an ihr, dass sie völlig orientierungslos wurde. Mit ausgestreckten Armen bewegte sie sich blind nach vorne. Als sie kurz versuchte, die Augen zu öffnen, bereute sie es sofort. Sie taumelte vorwärts, bereits knietief im Sand. Es war, als würde sie von Stromschnellen hin und her geschleudert, ohne jeden Kontakt zu festem Boden. Von allen Seiten rasten Sandböen heran, rissen an ihr, wie ein wild gewordenes Rudel Hunde an der Leine. Staubkörner drangen ihr tief in die Nase. Sie konnte nur noch krampfartig und keuchend atmen, wenn ihr Körper sie zwang, Luft zu holen. Sie japste, aber ihre Lungen wehrten sich gegen die feinen Sand- und Staubpartikel, schnürten ihr die Kehle zu, erstickten sie. Sie hechelte. Flach atmen, nicht ohnmächtig werden .
Eine Hand auf ihrem Rücken. Nayir fasste ihre Schulter und schlang einen Arm um ihren Oberkörper, ehe sie weggeweht wurde. Gegen die feste Luft gestemmt, kämpfte er sich qualvoll Schritt für Schritt voran. Miriams Bewusstsein hatte ausgesetzt, war irgendwo in ihrem Körper. Mal war sie ihre Nase und presste Sand nach draußen, mal ihre Hand, die sich in der Dunkelheit an Nayirs Arm festkrallte.
Etwas tröpfelte ihr auf die Lippe und wurde ihr vom Wind in den Mund gedrückt. Sie schmeckte Blut. Der Sand peitschte sie wie mit Millionen Glassplittern. Dort, wo das Kopftuch weggerutscht war, hatten winzige Geschosse aus Kristall und Stein sie wund gescheuert. Augenbrauen und Nase waren nass von Blut. Sie drückte Nayirs Arm, um sich zu vergewissern, dass er noch da war, dass sie nicht losgelassen hatte, sondern einfach nur nichts mehr fühlen konnte. Sie spürte die Stärke seiner Hand, die Verlässlichkeit seines Griffs.
Eine Ewigkeit später, als sie gerade umzukippen drohte, spürte sie einen starken Ruck und wurde in das Auto gestoßen. Die Tür schlug hinter ihr zu, während eimerweise Sand auf ihrem Schoß landete, in ihrem Gesicht und im Kragen ihres Umhangs. Sie riss das Kopftuch herunter und blinzelte, sah fragmentiertes Licht und Dunkelheit, das Rot von Blut, Sandkörner in den Augen. Mit der Zunge fuhr sie sich innen an der Wange und am Zahnfleischrand entlang, löste eine Portion Sand ab und spuckte sie aus. Sie hustete, zwang die Augen auf und starrte auf ihre Finger. Sie versuchte, sie zu bewegen. Es ging, und sofort presste sie die Augen wieder zu, mit den Fingern kratzte sie sich den Sand aus dem Mund. Sie hustete wieder, nieste dann, und zäher Schleim landete auf ihrem Ärmel.
Nach
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