Totenverse (German Edition)
machte einen langen Schnitt in den Kamelhals. Sobald das heraussickernde Blut den Sand befeuchtet hatte, konnte er den Rumpf des Tieres so weit ausgraben, dass der Bauch frei lag.
Der Anblick des Blutes hatte ihn auf eine verrückte Idee gebracht, etwas, was er einmal von einem Beduinen gehört hatte. Er löste den Sattel, hievte ihn auf den Sand und nahm die Wasserflasche, die, Allah sei Dank, daran befestigt war. Nachdem er ausgiebig getrunken hatte, griff er erneut zu dem Messer.
Er schnitt tief in das Fell, zog Haut und Muskeln auseinander, bis die Bauchhöhle des Kamels geöffnet war. Jetzt, da sich seine Augen an das Mondlicht gewöhnt hatten, sah er deutlich genug, um einen langen Teil des Darms herauszulösen, den er behutsam ausbreitete. Es dauerte eine Weile, bis er alles entwirrt und die Enden gefunden hatte, doch als es so weit war, schnitt er sie säuberlich ab und wandte sich dem Herz der Stute zu. Eine Minute später beförderte er das Tierblut in den sicheren Schlauch des Darms, indem er an einem Ende saugte wie an einem Strohhalm. Als das Blut seinen Mund erreichte, spuckte er aus, verschloss beide Enden mit einem Knoten und schleifte den blutgefüllten Schlauch zu der Stelle, wo er sich selbst aus dem Sand befreit hatte.
Er bewegte das Seil leicht kreisend, bis sich ein kleiner Sandtrichter gebildet hatte, dann schnitt er ein Loch in das Ende des Darms und drückte zu, um wie mit einem Gartenschlauch Blut in den Trichter zu spritzen. Er klopfte die Seiten fest und hob sie aus, vertiefte das Loch immer weiter.
Er grub mit unermüdlicher Hingabe, schaufelte blutigen Sand händeweise beiseite, bis er das harte Metall des Rovers unter den Füßen spürte. Er schaute sich um. Der obere Rand der Grube reichte ihm knapp bis zur Hüfte. Er schob so viel Sand vom Autodach, dass er sich hinknien konnte, und schlug auf das Dach. »Miriam!«, rief er. »Miriam!« Er wackelte an dem Messer und spürte das Dach leicht erbeben.
Er riss die Klinge heraus, stach erneut in das Metall und begann ächzend vor Anstrengung zu sägen, während er immer wieder Miriams Namen rief, aber keine Antwort erhielt. Er hatte nicht die Kraft, das Dach aufzusägen, und auch das Messer war nicht stark genug. Es knackte, und der Griff brach glatt ab. Fluchend stand Nayir auf und griff nach dem Kameldarm. Ein bisschen Blut war noch darin, und er begann auf einer Seite der Grube zu arbeiten, um sie, wie er hoffte, Richtung Wagenheck auszuweiten. Endlich erreichte er ein Seitenfenster. Nachdem er sich weit genug nach unten geschaufelt hatte, holte er sein Schweizer Messer heraus und schlug mit voller Kraft auf die Scheibe ein. Beim dritten Schlag sprang das Glas. Er stieß die Stücke vorsichtig nach innen, um nicht zu viel Sand in den Rover zu befördern.
Als er den Kopf durch die Öffnung schob und sich umschaute, sah er eine verkrümmte Gestalt auf den Vordersitzen liegen. Das blasse Weiß ihrer Haut leuchtete in der Dunkelheit. Er tauchte rasch ins Wageninnere, pflügte sich durch einen Sandhaufen auf dem Boden und beugte sich über die Vordersitze. Miriam lag da, nur mit ihrer Unterwäsche bekleidet. Er legte eine Hand an ihren Hals und spürte einen schwachen Pulsschlag. Pause. Dann wieder ein Schlag.
Er durchwühlte seine Ausrüstung nach der Segeltuchplane. Als er sie gefunden hatte, machte er auf der Rückbank Platz und breitete die Plane darauf aus. Dann schob er behutsam die Hände unter Miriams Schultern, hob sie über die Rücklehnen der Vordersitze und legte sie auf die Plane. Er wickelte die Enden um sie und knotete sie zu. Miriam rührte sich nicht. Er roch ihren Duft in der Luft, nicht unangenehm, grün, wie Bäume an einem frischen Morgen.
Einige Minuten später hatte er sie raus aus dem Wagen und zog sie hoch an die Oberfläche, bis ihr Körper oben war und mit einer leichten Erschütterung auf den Sand fiel. Nayir kroch unverzüglich noch einmal nach unten, ehe der Tunnel einsackte, und holte Wasser und Proviant, ihre Kleidung, sein Handy und das Zelt heraus. Er flößte Wasser zwischen Miriams Lippen, nur ein kleines bisschen, aber sie reagierte nicht.
Sein Gesicht war blutverkrustet, die Haare weiß gesprenkelt, und er entfernte sich ein Stück, um eine andere Art der Waschung zu vollziehen, um sich den Schmutz von Kleidung und Haut zu reiben, mit Sand und Spucke, falls er noch welche hatte.
44
Es gab zwei Arten von Stille. Die eine war durchlässig, löschte das Ich aus und vermittelte das
Weitere Kostenlose Bücher