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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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der Wind die Spuren komplett verwischt hatte. Nayir stieg wieder in den Rover und folgte in östlicher Richtung der Kamelspur. Der Himmel wurde jetzt dunkler, hatte aber noch immer diese beängstigend tiefrote Farbe. Nayir fuhr durch eine Lücke zwischen zwei hohen Dünen. Der Sand rieselte die Hänge herab, wehte wie in Fahnen von den Kämmen. Die Luft war körnig.
    Am Fuß der nächsten Düne stoppte er und stieg aus. Die Kamelspur führte immer weiter, so weit das Auge reichte. Der Wind streute allmählich immer mehr Sand darüber. Nayir musste auf höheres Gelände, wenigstens für einen Moment. Er nahm sein Shemagh von der Rückbank und wickelte es sich so ums Gesicht, dass nur die Augen frei blieben. Dann band er sich die Wasserflasche an den Gürtel, steckte die kleine Dose mit der Notfallausrüstung ein und stapfte los, die Düne hinauf.
    Der Wind peitschte inzwischen und schlug ihm das Gewand knatternd um die Beine, was den Anstieg erheblich erschwerte. Die Düne war steiler, als es von unten ausgesehen hatte. Er schien kaum voranzukommen, weil er bei jedem Schritt ein Stück zurückrutschte. Sein Herz dröhnte vor Anstrengung, und der rasende Wind brannte auf der Haut wie Feuer. Auf halber Höhe strauchelte er, als ihn eine Ladung Sand mitten ins Gesicht traf, und ehe er wusste, wie ihm geschah, rutschte er die Düne wieder hinunter.
    Er stieg umgehend ins Auto und fuhr weiter, um nach einer besseren Düne zu suchen. Er brauchte nur ein bisschen Höhe, um nach dem Kamel Ausschau zu halten. Aber je weiter er fuhr, desto höher wurden die Dünen. Sie waren steil, manche fast senkrecht wie Klippen, und das Tal, in dem er unterwegs war, verengte sich zusehends. Mittlerweile hatte der Wind die Kamelspur völlig zugeweht, und er folgte einer unsichtbaren Fährte. Hinter einer leichten Biegung sah er das Ende des Tales. Oder besser gesagt, es wurde so schmal, dass ein Auto nicht weiter vorankam, wohl jedoch ein Kamel. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zurückzusetzen – für ein Wendemanöver war kein Platz – oder über die Düne zu fahren. Das war ein gefährliches Unterfangen, denn die Düne hatte einen hohen, scharfen Grat, und er würde oben nicht stoppen können, weil sonst die Gefahr bestand, dass der Rover auf dem Kamm hängen blieb. Wie oft hatte er nicht schon einen großen Geländewagen hilflos oben auf einer Düne hängen sehen, die Reifen nutzlos auf beiden Seiten in der Luft über dem Sand?
    Er setzte zurück, um Schwung zu nehmen, gab Gas und fuhr schräg den Dünenhang hinauf. Zweimal rutschte der Wagen ein kleines Stück rückwärts, aber er bekam ihn durch geschicktes Manövrieren wieder unter Kontrolle, wobei er die ganze Zeit betete: Bodenhaftung, Allah, ich brauche Motorkraft und Bodenhaftung . Kurz unterhalb des Grates heulte der Rover auf. Er hing in einem Winkel von fünfundvierzig Grad und drohte zu kippen. Nayir konnte nicht sehen, was auf der anderen Seite der Düne lag, aber er konnte auch nicht aussteigen, um nachzusehen. In der Zeit, die er dafür gebraucht hätte, wären die Räder des Rovers bestimmt im Sand eingesunken. Er tippte leicht aufs Gas und schoss mit einem Ruck vorwärts über den Dünenkamm, um schlingernd auf der anderen Seite hinunterzugleiten. Er keuchte auf, als er sah, welch schreckenerregender Anblick sich ihm bot: im Vordergrund wogende Dünen wie turmhohe Wellen auf offener See, und dahinter eine riesige pulsierende rote Wand aus Sand, die Hunderte Meter hoch in den Himmel ragte und sich wie ein Wüstentsunami auf ihn zubewegte.
    Auf dem Weg nach unten musste er die aufsteigende Panik niederringen. Er war sicher, dass er noch nie etwas Dümmeres getan hatte, und er war ebenfalls sicher, dass er für die Person auf dem Kamel die einzige Überlebenschance war. Er suchte rasch die Landschaft ab und erspähte etwas Schwarzes in dem nahenden orangeroten Schimmer. Es hätte der Schatten eines Staubteufels sein können oder irgendein Stück Abfall, aber das glaubte er nicht.
    Der Rover erreichte rutschend den Fuß der Düne, wo der Boden fester war. Erleichtert sah Nayir, dass zwischen den Dünen genug Platz war, sodass er ein gutes Stück weiterfahren konnte, zumindest lang genug, um den Wagen für den nächsten Anstieg ausreichend zu beschleunigen. Er gab Gas, aber nicht zu viel, sonst würden die Reifen nur tiefe Furchen graben, und prägte sich die Richtung ein, in der er den Schatten gesehen hatte, machte ihn zum unbewegten Zentrum des Universums. Dann

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