Totenverse (German Edition)
jagte er die nächste Düne hinauf.
Diesmal erreichte er den Kamm ohne größere Probleme, und als er auf der anderen Seite hinunterglitt, sah er den Schatten erneut, aber schon näher. Es war tatsächlich ein Kamel, das einen Dünenhang herab auf ihn zukam. Jemand saß tief vornübergebeugt auf dem Rücken, verhüllt gegen den schneidenden Wind und Sand, und Nayir konnte nicht erkennen, ob Mann oder Frau. Vermutlich war es Mabus, dem er da zu Hilfe eilte. Doch dann kam ihm der Gedanke, dass nur Miriam so töricht wäre, auf dem Rücken eines Kamels schnurstracks in einen Sandsturm zu reiten, und absurderweise hoffte er, dass sie es war. Er versuchte, den Wagen anzuhalten, um das Kamel deutlicher sehen zu können, aber der Rover rutschte unkontrollierbar weiter abwärts. Wenigstens kam er allmählich näher. Zwischen ihm und dem Kamel lagen noch gut hundert Meter.
Die dritte Düne erwies sich als unüberwindbar. Sie war hoch, mindestens zweihundert Meter, und steiler als die vorherigen. Bei jedem Anlauf, ganz gleich, welchen Winkel er einschlug, schlingerte der Rover seitlich weg und rutschte wieder nach unten. Er fuhr fünfmal im Zickzack auf und ab, bis er es aufgab. Er konnte nicht umdrehen, um einen erneuten Versuch zu unternehmen, und als er zurücksetzen wollte, gruben sich die Räder in den Sand. Er fürchtete, die Orientierung zu verlieren, wenn er es weiter probierte. Ob das Kamel ihn gesehen hatte? Wahrscheinlich nicht, dafür war zu viel Staub und Sand in der Luft. Aber es war direkt auf der anderen Seite dieser Riesendüne.
Er nahm seinen ganzen Mut zusammen, stieg aus und blieb kurz am Fuß der Düne stehen, die ihm jetzt noch steiler vorkam als vom Wagen aus. Er ging zum Kofferraum, nahm Seile heraus und hängte sie sich über die Schulter, während er nach der Spitzhacke suchte. Er hatte gemeint, eine dabeizuhaben, aber offenbar hatte er sich geirrt. Er schloss den Kofferraum und stieg rasch die Düne hinauf.
Er kam schneller voran als beim letzten Mal. Obwohl der Anstieg extrem steil war, obwohl ihm das Herz hämmerte und er vor lauter Sand, den der Wind ihm ins Gesicht peitschte, die Augen kaum offen halten konnte, trieb ihn das Adrenalin voran und ließ ihn so behände klettern wie eine Ziege. Er kämpfte sich bis zum höchsten Punkt hoch und spähte hinunter.
Das Kamel kam auf ihn zu, rutschte immer wieder im Sand weg, gab aber nicht auf. Die Gestalt auf seinem Rücken war tief gebeugt und hatte beide Arme um den Hals des Tieres geschlungen. Nayir sah eine braune Haarsträhne und einen weißen Unterarm. Miriam.
Nayir rief ihren Namen, aber der Wind war zu laut, und sie hörte ihn nicht. Er nahm das Seil von der Schulter und rief erneut. Diesmal blickte sie auf und blinzelte in den Wind. Der Sturm trieb ganze Sandwände durch die Luft, und oben auf der Düne war er so stark, dass Nayir zur Seite taumelte. Wieder rief er ihren Namen.
Er band das Seilende zu einer Schlinge und rutschte einen Meter den Hang hinunter, weil er möglichst nah ran musste, um dem Kamel die Schlinge über den Kopf zu werfen, aber nicht so weit, dass er den Halt verlor. Miriam sah ihn und rief etwas, aber er hörte nur den schwachen Klang einer Frauenstimme, die sich im Wind verlor.
Er kämpfte sich gegen den Sturm ein wenig nach rechts und warf dann das Lasso. Er verfehlte das Kamel, zog die Schlinge gleich wieder zurück und warf noch einmal. Das Kamel rutschte plötzlich zurück, und Miriam klammerte sich panisch an seinem Hals fest. Nayir ließ sich noch etwas tiefer gleiten und warf erneut. Die Schlinge traf Miriam am Kopf, und sie setzte sich auf und fasste danach, griff aber daneben. Er warf noch einmal, und diesmal fing sie das Seil. Sie versuchte, es um den Kamelhals zu legen.
Nayir sah den Rest nicht. Er wandte den Blick zu dem Sturm, der jetzt fast über ihnen war. Das Zentrum der Masse war eine gelbliche Finsternis, und darüber erhob sich eine beängstigende rote Wand, die sich unaufhaltsam näherte und mit ihrem Kern schon fast bei ihnen war. Das Ganze sah aus wie ein leuchtender Feuergürtel, der Flammen in alle Richtungen spie, dunkelrot und mehrere Hundert Meter breit.
Hastig kroch Nayir zurück auf den Dünenkamm, ein scharfer Grat, der jetzt Sand senkrecht hinauf in den Himmel schoss. Er ließ sich auf der anderen Seite hinunterrutschen, zog mit aller Kraft an dem Seil und spürte den Widerstand des zurückgebliebenen Kamels. Er grub die Beine in den Sand und zerrte und zog, bis das Kamel
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