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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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das nicht schätzte, egal wie gut die Neuigkeiten waren. Zainab war die Gründlichkeit in Person, immer. Ihre erste Frage hätte gelautet: Haben Sie sich auch wirklich alles angesehen?
    Zögernd wandte Katya sich dem letzten Kleidungsstück zu, dem Neqab. Er unterschied sich in nichts von der allgemein üblichen Gesichtsbedeckung, ein simples schwarzes Stoffrechteck, das mit einem Klettverschluss am Hinterkopf befestigt wurde und einen Schlitz für die Augen hatte. Sie suchte den Stoff nach Haaren ab, fand aber keine. Zwei blasse beige Verfärbungen an der Innenseite sahen aus wie Makeup-Flecken. Durchaus möglich, dass Evas Gesichtspuder am Stoff haften geblieben war. Katya beschloss, eine Probe von der Verfärbung zu nehmen, um auf Nummer sicher zu gehen, dass es sich wirklich um Make-up-Spuren handelte. Sie nahm eine Schere, um ein kleines Quadrat am Rand des Fleckens herauszuschneiden, aber irgendwas in ihr sträubte sich dagegen, den Neqab zu beschädigen. Stattdessen griff sie zu einem Wattestäbchen. Plötzlich klingelte ihr Handy, und sie blickte kurz zu ihrer Handtasche hinüber.
    Sie zwang sich, konzentriert zu bleiben, und schabte etwas von dem Make-up auf einen Objektträger. Ihr Handy klingelte schon wieder.
    Katya legte den Neqab auf den Tisch und ging zu ihrer Handtasche. Sie hatte zwei Bluetooth-Nachrichten, die beide identisch waren. Als sie sie öffnete, erschien das Bild einer Frau, die bis auf ein paar lächelnde dunkle Augen komplett verschleiert war. Die Bildunterschrift lautete: Lächle, du wirst gefilmt!
    Katya schnaubte angewidert. Sogar hier in meinem Labor , dachte sie. Die Fenster waren zu hoch, um nach draußen sehen zu können, aber sie war sicher, wenn sie auf einen Stuhl gestiegen wäre, hätte sie unten auf dem Bürgersteig eine Gruppe junger Mädchen gesehen, die sich lächerlich langsam die Straße entlangbewegten und unter ihren Umhängen eifrig mit ihren Handys hantierten. Eine von ihnen hatte diese Nachricht verschickt.
    Es war nicht das erste Mal, dass sie von irgendwelchen Passanten Bluetooth-Nachrichten bekommen hatte. Das war die beliebteste Kommunikationsmethode unter flirtenden Teenagern auf der Straße und manchmal die einzige Möglichkeit für einen Mann, eine Frau auf sich aufmerksam zu machen. Nichts konnte ein Mädchen wirksamer dazu bringen, ihren Neqab zu lüften, als ein klingelndes Handy. Für Katya war es ein Ärgernis. Auf der Straße kamen die Nachrichten manchmal so geballt, dass sie ihr Telefon ausmachen musste. Aber noch nie hatte eine Frau ein Foto von sich mit dem Schleier vorm Gesicht versandt. Was für eine blöde Idee! Sie warf das Handy in die Tasche und wandte sich wieder dem Neqab zu.
    Kaum hatte sie ihn wieder vom Tisch genommen, klingelte ihr Handy erneut. Und im gleichen Moment berührten ihre Finger etwas Hartes. Sie starrte ungläubig nach unten auf den Neqab.
    Waren die Bluetooth-Nachrichten hiervon versandt worden?
    Rasch breitete sie den Stoff aus und suchte die Ränder unter der Lupe ab. Da. Ein kleiner Silberdraht, der in den Saum eingenäht war. Der Draht führte nach unten zu einem winzig kleinen Metallteil in der unteren Ecke des Neqab. Sie berührte das Teil behutsam mit einem Finger, und prompt klingelte ihr Handy.
    Sie ließ den Neqab fallen. »Bluetooth?«, fragte sie fassungslos. Sie holte schnell ihr Handy aus der Tasche: zwei neue Nachrichten, genau die gleichen wie die ersten beiden.
    Diesmal konnte sie sich nicht bremsen und rief Zainab an. Ein Bluetooth-Neqab! Sie hatte in Modezeitschriften davon gelesen, aber gedacht, das wäre nur etwas für den Laufsteg. Wer war denn schon so albern und trug einen sittsamen Neqab, nur um dann wildfremden Leuten auf der Straße per Bluetooth sein Foto zu schicken? Ha, Eva jedenfalls nicht. Die hatte bloß ein Bild ihres verschleierten Gesichts verschickt. Katya musste fast lachen – was für eine Farce.
    Während sie mit dem Hörer am Ohr wartete, berührte sie wieder den Neqab. Der Stoff war nichts Besonderes, aber vielleicht war das ja gerade gewollt. Wohl niemand käme auf die Idee, dass dieses bescheidene Kleidungsstück jedem beliebigen Passanten Flirtnachrichten übermitteln konnte.
    Zainab meldete sich nicht, und Katya legte wieder auf. Was sollte sie ihr überhaupt sagen – ich hab ein Foto vom Gesicht des Opfers gefunden, nur leider verschleiert? Sie ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl sinken und starrte frustriert auf das Foto im Handydisplay. Was brachte es eigentlich, ein

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