Totenverse (German Edition)
in dem kurzen Gespräch mit ihr erfasst hatte – dass er noch eine Chance hatte und alles tun würde, um sie nicht zu verspielen. Aber der sachliche Tonfall ihrer Stimme stach das erste Loch in seine Zuversicht, und eine jähe, automatische Angst das zweite. Katya . Sollte er ihren Namen aussprechen? Wäre es nicht angemessener, wenn er sie wieder Fräulein Hijazi nannte? Das könnte sie kränken, also sagte er bloß: »Hallo.«
»Was machst du heute Abend?«
Camping , hätte er sagen sollen, oder: Ich bin gerade auf dem Weg aus der Stadt . Stattdessen fand er jenen magischen Zwischenweg, der weder Lüge noch Wahrheit war. »Heute Abend? Ich hatte vage was vor, aber ich weiß noch nicht genau.«
»Dann hättest du also eventuell Zeit?«
Er zögerte. »Ja. Wieso?«
»Weil ich dich bitten wollte, zum Abendessen zu uns nach Hause zu kommen – sagen wir gegen sieben?«
Das ging alles zu schnell. Sie ließ ihm keinen Spielraum, und es kam ihm so vor, als hätte sie es genauso geplant. Und als hätte er es nach seinem früheren Rückzug nicht anders verdient. Schweiß tropfte ihm aus den Haaren aufs Telefon, lief in Rinnsalen an Armen und Rücken herab. Seine Entschlossenheit hatte sich in Luft aufgelöst, und zurück blieb nur automatische Höflichkeit.
»Gern«, sagte er und wusste irgendwo tief in seinem Innern, dass er tatsächlich gern zum Abendessen zu ihr nach Hause kommen würde, auch wenn ihm das im Augenblick nicht bewusst war, auch wenn der Gedanke, ihrem Vater zu begegnen und seine frühere Beziehung zu Katya eingestehen zu müssen, das Gefühl auslöste, als würde ihm jemand Nägel ins Genick schlagen. »Dann bis um sieben.«
»Ich muss dir noch unsere genaue Adresse geben.«
Er suchte nach einem Stift, fand keinen, versuchte hektisch, sich Straße und Hausnummer einzuprägen, und blieb doch die ganze Zeit an dem Wort »unsere« hängen. Unsere Adresse. Ich und mein Vater. Der Hüter.
Es war ihm zu peinlich nachzufragen, ob sie irgendwas über Samirs Freund Qadhi herausgefunden hatte, und sie fing nicht davon an. Es blieb unausgesprochen, aber er meinte zu hören: Kommst du, erzähle ich es dir. Kommst du nicht, wirst du es nie erfahren .
Als das Telefonat zu Ende war, wendete er und fuhr auf schnellstem Wege zurück zum Jachthafen. Er wusste eigentlich nicht, warum er nach Hause fuhr. Er hatte noch sechs Stunden Zeit bis zu der Verabredung bei ihr, und um sich fertig zu machen, brauchte er höchstens eine Viertelstunde. Er wusste nur, dass er zurück zum Boot musste.
Als er auf den Parkplatz fuhr, sah er sofort, dass der Land Rover wieder genau an der Stelle parkte, wo er am Morgen gestanden hatte. Sein Herz brachte das interessante Kunststück fertig, sich vor Schreck zu verkrampfen und gleichzeitig vor Freude zu hüpfen. Was bilden die sich ein, ihn einfach wieder herzubringen? Und, Allah, sie haben ihn wieder hergebracht!
Er parkte den Jeep daneben, umrundete den Land Rover einmal und spähte durch die Heckscheibe. Es war tatsächlich derselbe Wagen. Der Schlüssel steckte im Zündschloss. Er nahm ihn und schob ihn in die Tasche und sagte sich, dass er noch wenigstens einen Versuch unternehmen würde, ihn zurückzugeben, aber nicht heute Nachmittag.
Auf dem Weg zum Boot tat sein Herz einen weiteren unerwarteten Sprung. Er wusste, dass er den Land Rover zurückgeben würde, und ihm war ebenso klar, dass sie ihn schnurstracks wieder herbringen würden. Es drohte also ein Zermürbungskrieg. Er konnte das Geschenk nicht immer wieder zurückgeben, weil sie das irgendwann als Beleidigung auffassen würden, und ihre Hartnäckigkeit war für ihn Beweis genug, dass sie es wirklich ernst meinten und er den Wagen behalten sollte. Und falls er später ein schlechtes Gewissen bekam, konnte er sich sagen: Sie haben mich ja praktisch gezwungen, ihn anzunehmen . Aber das mit dem schlechten Gewissen blieb erst noch abzuwarten.
13
Miriam saß am Küchentisch, das Telefon am Ohr. Am anderen Ende der Leitung war das Konsulat. Man hatte sie von einem Bürokraten zu dem nächsten verbunden, und jetzt war sie in der Warteschleife. Auf dem Boden neben ihren Füßen lag der kaputte Abfallzerkleinerer in seine Einzelteile zerlegt. Wen sie deswegen anrufen sollte, wusste sie nicht.
»Hallo?«
Es war eine Frauenstimme, was Miriam erleichterte, und sie klang amerikanisch. Miriam stellte sich vor und erklärte die Situation. Mein Mann ist verschwunden .
Die Frau stieß einen mitfühlenden Laut aus. »Das
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