Totenverse (German Edition)
gefehlt, dass Jacob dachte, sie würde ihren Mann betrügen.
Verblüfft wurde ihr klar, dass Mabus gelogen hatte. Er stammte gar nicht aus New York, er war Brite. Außerdem hatte er nur von einer Forschungsreise gesprochen und verschwiegen, dass er schon seit Jahren in Dschidda war.
»Du hast ihn hier kennengelernt?«, fragte sie sicherheitshalber nach.
»Ja.«
»Und du bist sicher, dass er Brite ist?«
»Verdammt sicher«, entgegnete Jacob.
»Dann kann es nicht derselbe Mann sein, an den ich denke«, log sie. »Wann war denn dieser Jagdausflug?«
»Wieso willst du das wissen?« Jacob kam noch näher, und sie zuckte die Achseln, obwohl es eher wie ein nervöser Tick wirkte. Als er sah, dass sie nicht antworten würde, sagte er: »Mabus hat da draußen ein Häuschen, und wir haben ein bisschen in den Dünen campiert.«
»Hmm.« Sie lächelte schwach, umklammerte ihre Tasche und öffnete die Haustür, aber Jacob folgte ihr hinaus auf den Rasen.
»Bis dann«, sagte sie und ging mit flotten Schritten davon. Er blieb vor dem Haus stehen und sah ihr nach, aber sie schaute sich nicht um. Sie ging weiter, bemüht entspannt, bis sie außer Sichtweite der Villa war. Dann holte sie ihr Handy heraus, um den Taxifahrer anzurufen, der zu ihrer Erleichterung noch einigermaßen in der Nähe war. Sie vereinbarten, dass er sie am Tor abholen würde.
Sie wusste, wie alt das Foto war, denn Eric hatte sich kurz vor ihrer Abreise in die Staaten am Kinn geschnitten. Das Bild musste also wenige Tage nach ihrem Abflug entstanden sein. Sie hatte nichts dagegen, dass er mit seinen Freunden auf die Jagd ging, vor allem, wenn sie ohnehin nicht da war, aber sie hatten in dieser Woche mehrmals telefoniert, und er hatte den Ausflug mit keiner Silbe erwähnt. Normalerweise erzählte er ihr solche Dinge.
Und, so fragte sie sich plötzlich, wer hatte das Foto aufgenommen?
14
Faiza saß neben ihm auf dem Beifahrersitz und lachte über zwei kleine Jungen, die sich auf der Straße wild gestikulierend um einen Fußball balgten. Schmunzelnd lenkte Osama den Wagen vorsichtig an ihnen vorbei. Er genoss ihr Lachen und ließ sich davon anstecken. Faizas Direktheit hatte ihn nie gestört, ebenso wenig wie die nachlässige Art, mit der sie ihren Hijab trug, oder die kleinen Plänkeleien, die sich zwischen ihnen ergaben, wenn sie, was selten vorkam, gemeinsam Zeugen vernahmen. Bei einer anderen Frau hätten diese Dinge wie Koketterie gewirkt, aber bei Faiza waren sie so natürlich wie Luft und Sand und Stein. Mit ihren siebenunddreißig Jahren kam sie gerade in das Alter, in dem Unschicklichkeit verzeihlich wurde und Frauen den sicheren Hafen vermeintlicher Geschlechtslosigkeit erreichten. Trotzdem fand er sie auf eine simple, altmodische Art attraktiv. Das lag an den ausladenden Gesten ihrer Hände, an der Art, wie ihre Schultern bebten, wenn sie lachte, und an der Klarheit ihres Gesichts, das sie – wenn er es mal zu sehen bekam – offen und ohne Scham zeigte. Der Umgang mit ihr war heilsam und wohltuend, gerade weil ihr die eigene Sexualität nicht bewusst war, und er vermutete, dass das schon mit sechzehn so gewesen war und auch mit vierzig noch so sein würde.
Sie stieß einen Seufzer aus, der wohl so viel besagen sollte wie: Meine Güte, hat das gutgetan, aber jetzt ist wieder Ernst angesagt . Sie waren auf dem Weg zum Bruder des Opfers, Abdulrahman Nawar, der ein Dessousgeschäft betrieb. Falls auch nur die Möglichkeit bestand, dass sie eine Frau zu vernehmen hatten, musste Osama eine Beamtin dabeihaben. Ein Dessousgeschäft war ein befremdliches, heikles Terrain. Er hatte Faiza für den unwahrscheinlichen Fall mitgenommen, dass von den rund 250 Dessousgeschäften in Dschidda dieses eine sich tatsächlich an die neue Anordnung des Arbeitsministeriums hielt und weibliches Personal beschäftigte. Angeblich sollten durch den Erlass mehr Frauen zur Berufstätigkeit ermutigt werden, aber in Wahrheit ging es darum, gegen eine der wenigen Oasen vorzugehen, wo Männer Zugang zu Frauen hatten, wo Frauen flüsternd mit Männern über Körbchengrößen reden konnten, über die Slipform, die sie bevorzugten, und wo sie mit ihrer Hilfe aus dem verwirrenden Angebot an erotischen »Outfits« die richtige Auswahl für ihr Schlafzimmer treffen konnten. Das religiöse Establishment hatte die Branche schon seit Jahren auf dem Kieker, doch bis vor Kurzem war den Ladeninhabern immer eine erfolgreiche Verteidigung eingefallen. So argumentierten sie,
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