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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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dass sie keine Frauen einstellen könnten, weil die Mehrzahl der Kunden eben Männer waren, die für ihre Ehefrauen einkauften. Da es für Frauen schwieriger war, aus dem Haus zu kommen, schickten sie ihre Männer zum Einkaufen – und somit war eben männliches Verkaufspersonal erforderlich. Der neue Erlass des Arbeitsministeriums – demzufolge nur Frauen in Dessousgeschäften arbeiten sollten – wurde vom religiösen Establishment mit Empörung quittiert. Die Imame schäumten zwar bei der Vorstellung, dass männliche Angestellte mit Büstenhaltern und Tangaslips in Berührung kamen, aber anscheinend hielten sie die Gefahr, dass Frauen sich von Kindererziehung und Herd verabschiedeten, um außerhalb des Hauses zu arbeiten, für noch verderblicher.
    Faizas Hand tauchte in die Papiertüte auf ihrem Schoß. Sie hatten unterwegs Kaffee und Donuts gekauft, und jetzt aß sie einen mit Cremefüllung ohne die Behutsamkeit, die er von Frauen, die einen Neqab trugen, eigentlich kannte – normalerweise wurde der klebrige Donut leicht angewinkelt unter den Stoff geschoben und vorsichtig hineingebissen, damit keine Krümel in den Kragen fielen. Faiza dagegen biss einfach herzhaft zu. Er beobachtete sie unauffällig und wartete auf ein kleines Malheur, aber sie bekam noch nicht mal Zuckerguss an den Daumen.
    »Das war gut«, sagte er.
    Sie lachte leise. »Nach fünfundzwanzig Jahren Übung muss ich ja wohl gut sein. Wohin nehmen Sie mich heute eigentlich mit?«
    »In ein Dessousgeschäft. Es wird zwar von einem Mann betrieben, aber vielleicht müssen wir vorher an ein paar Frauen vorbei.«
    »Sind Sie denn noch nie allein an einer Frau vorbeigekommen?«
    »Ich dachte, ich könnte Ihre Hilfe gebrauchen.«
    »Das weiß ich zu schätzen.«
    Er hielt an einer Tankstelle und stieg aus, um zu tanken. Als er gerade fertig war, fuhr ein Streifenwagen vorbei, und er spürte ein kleines besorgtes Beben, als die Beamten in seine Richtung schauten. Er sah genauer hin, um abzuschätzen, ob sie ihn erkannten, ob sie Faiza bemerkten. Es war nicht falsch, dass sie ihn begleitete, aber es war in den letzten Wochen mit zunehmender Häufigkeit vorgekommen. Ihretwegen graute ihm davor, dass die Leute eines Tages anfangen würden, mehr zwischen ihnen beiden zu vermuten. Wenn die Gerüchteküche erst mal brodelte, würde sie nichts als Lügen verbreiten, und Faizas Karriere wäre die erste, die den Bach runterginge.
    Osama hätte gern gewusst, warum sie sich entschieden hatte, Polizeibeamtin zu werden. Er hatte sie mal gefragt, aber sie hatte ausweichend geantwortet (Schulterzucken. »Ich weiß nicht. Es hat mich interessiert.«), ganz ohne die leidenschaftliche Rhetorik, zu der die anderen Kolleginnen neigten. Bei Faiza kam ihm diese Berufswahl irgendwie vollkommen passend vor, als wäre sie nicht das Ergebnis logischer Überlegung oder sorgsamer Planung, sondern die Konsequenz einer tiefen, natürlichen Eignung.
    Er stieg wieder ins Auto, froh darüber, dass der Streifenwagen weitergefahren war. Normalerweise hätte er auf Faizas Platz gesessen und sein Partner Rafiq hinter dem Lenkrad. Wenn Faiza mit ihnen beiden mitgekommen wäre, hätte sie auf der Rückbank gesessen. Aber vor drei Monaten waren Rafiq und Osama in eine Abtreibungsklinik spaziert, und der Freund einer Patientin hatte eine Waffe gezückt und Rafiq in die Brust geschossen. Sie hatten nach einem Mann gesucht, der im Verdacht stand, ein junges Mädchen ermordet zu haben, und ihre Ermittlungen hatten sie zu der Klinik geführt, die sich als Kinderwunschzentrum tarnte, obwohl dort, und bei dem Gedanken wurde Osama bis heute noch ganz schlecht, in Wirklichkeit tagtäglich Kinder getötet wurden. Rafiq hatte die Verletzung überlebt, befand sich zurzeit aber in einem sechsmonatigen Genesungsurlaub.
    Alles in allem tat ihnen die aufgezwungene Trennung wahrscheinlich ganz gut. Rafiq, der Ältere und Erfahrenere von ihnen beiden, war immer das Alphamännchen gewesen und hatte Osama gebieterisch und stolz vom Tatort zum Vernehmungszimmer, vom Gerichtssaal zum Gefängnis geführt. Er hatte ihm die Feinheiten beigebracht, die man als Polizist einer so großen und gesetzlosen und leichtfertig weltlichen Stadt wie Dschidda beherrschen musste. Und an ihrem Verhältnis hatte sich auch nichts geändert, als Osama schon längst selbst ein fähiger Kriminalist geworden war, denn sein Vaterkomplex war übermächtig und unaufhaltsam erblüht und hatte ihn zu Rafiq aufschauen lassen, wie eine

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