Totenverse (German Edition)
deshalb bis heute fasziniert von ihm. Das konnte Miriam ganz gut nachempfinden. Doch seit sie ihn kennengelernt hatte, wurde sie das ungute Gefühl nicht los, dass Jacob ein Mann war, der sich von Saudi-Arabien angezogen fühlte, weil er die schlimmsten Klischees des Landes schätzte, allen voran die Behandlung der Frauen. Aber vielleicht war sie ja zu hart und ihn faszinierte nur die klare Geschlechtertrennung. Wie willst du deine Frau betrügen, wenn sie ständig um dich herum ist? Miriam hatte schon früh mitbekommen, dass Jacob die Frauen nicht dabeihaben wollte, wenn er mit Eric unterwegs war. Zuerst hatte sie geglaubt, das hinge mit der Arbeit zusammen und die beiden müssten irgendwelche Sachen besprechen, aber irgendwann hatte Eric ihr erklärt, dass Jacob ein Mann war, der nicht so gern Zeit mit seiner Frau verbrachte wie Eric mit Miriam. Jedenfalls, bis sie hierherkamen.
Patty redete noch immer.
»Also, Miriam«, sagte Jacob und richtete seine Aufmerksamkeit auf sie wie eine grelle Lampe beim Verhör. Patty verstummte. »Noch immer nichts von deinem Mann gehört?«, fragte er.
Miriam schüttelte den Kopf. Sie spürte ein warnendes Prickeln im Nacken. Sie trank noch einen Schluck Bier.
»Der taucht bestimmt wieder auf«, sagte er, ohne sie aus den Augen zu lassen.
»Du hast gesagt, du hast ihn gesehen, ehe er mich am Flughafen abgeholt hat?«, fragte Miriam.
»Ja, aber nur ganz kurz. Er wirkte ganz normal.« Jacobs Augen verengten sich. »Wieso? Denkst du, ich hatte was damit zu tun?«
»Womit?«, fragte sie, mit bemüht verschmitzter Miene.
Jacob musterte sie mit einem kalten, furchteinflößenden Blick, und ihr Magen krampfte sich zusammen.
»Ich dachte, du könntest mir vielleicht sagen, ob irgendwas Besonderes war«, sagte sie. »Ob er dir irgendwas gesagt …«
»Er hat gesagt: ›Ich fahr jetzt meine Frau abholen.‹« Jacobs Tonfall war unterschwellig aggressiv, aber Patty intervenierte, indem sie einen metallenen Pfannenheber auf den Boden fallen ließ. Alle erschraken. Sie entschuldigte sich, hob den Pfannenheber auf und legte ihn in die Spüle.
Miriam stand auf und nahm ihre Tasche. »Patty, vielen Dank für das Essen. Die Donuts waren köstlich.«
»Wahrscheinlich hat ihn die Religionspolizei festgenommen«, sagte Jacob, der Miriam nach wie vor mit einem bohrenden Blick betrachtete. »Ihr wohnt in einer Gegend, wo so was öfter vorkommt, weißt du?«
Und ob ich das weiß , hätte sie am liebsten gezischt. »Ich finde allein raus. Patty, noch mal vielen Dank.«
Patty sah verlegen und betroffen aus, als wüsste sie nicht, was sie tun sollte. Jacob folgte Miriam ins Wohnzimmer. Als sie an dem Beistelltisch in der Diele vorbeikam, bemerkte sie mehrere gerahmte Bilder darauf. Beim Hereinkommen hatte sie nicht darauf geachtet, aber jetzt erregte eines ihre Aufmerksamkeit. Es war ein Foto von Jacob und Eric.
Jacob stand einen Hauch zu dicht hinter ihr. »Hat er dir erzählt, dass wir campen waren, während du weg warst?«, fragte er in einem Ton, der suggerierte: Ich wette, er hat dir kein Wort erzählt .
Miriam merkte, wie ihr die Zornesröte ins Gesicht stieg. Eric hatte nichts von einem Campingausflug gesagt. »Ja«, antwortete sie, »hörte sich an, als hättet ihr mal wieder irgendwelche Dummheiten angestellt.«
Sie sah ihm an, dass er ihr nicht glaubte.
Die Fotosammlung war eigenartig. Alle Bilder zeigten Jacob und seine Freunde bei irgendwelchen Männeraktivitäten – Angeln, Surfen, Jagen in der Wüste. Es gab nicht ein Foto von Patty oder ihrer Tochter. Sogar die Rahmen wirkten maskulin, gemasertes Holz in dunklen Braun- und Grüntönen.
Ihr Blick fiel auf ein Bild ziemlich weit hinten, und einen Moment setzte ihr Herz aus. Es zeigte drei Männer, jeder mit einem Jagdgewehr, und im Hintergrund waren die Berge Südarabiens in gelbliches Licht gehüllt. Eric stand links und wirkte ungemein zufrieden. Er hatte eine Schnittwunde am Kinn. Jacob in der Mitte wirkte regelrecht gefährlich, und rechts von ihm stand ein Mann, den sie wiedererkannte: Apollo Mabus.
»Woher kennst du den?«, fragte sie und zeigte auf das Bild.
»Mabus? Den hab ich vor ein paar Jahren über einen Kollegen kennengelernt. Er ist Brite. Wirkt ein bisschen spießig, bis man ihn in der Wüste erlebt. Warum fragst du?«
»Der kommt mir irgendwie bekannt vor.« Sie hielt den Blick auf das Foto gerichtet, um sich nichts anmerken zu lassen. Sie wusste, dass sie nervös aussah. Es hätte ihr gerade noch
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