Totenverse (German Edition)
sich schnell eine neue Tasse ein. Miriam hatte plötzlich den Impuls, aufzustehen und sie in den Arm zu nehmen.
Sie musste zugeben, dass sie Pattys Ängste verstand. Nicht dass Eric eine Zweitfrau mit nach Hause bringen würde, aber er verbrachte so viel Zeit ungehemmt und frei in einer Welt, zu der sie kaum Zugang hatte und von der sie so gut wie nichts wusste. Schon oft hatte sie sich gefragt, ob er sie betrog. Es wäre ein Leichtes für ihn, ohne dass sie es spitzkriegte.
»Ich kenne das Gefühl«, sagte Miriam. Patty hörte auf, in ihrem Kaffee zu rühren. »Aber weißt du, was mich davon abhält, mir allzu große Sorgen zu machen? Die Tatsache, dass es in dieser Stadt extrem schwierig ist, überhaupt Frauen kennenzulernen.«
Sie hatte gehofft, Patty würde auf die Bemerkung wenigstens mit einem Lächeln reagieren, doch sie griff lediglich nach ihrem Kaffee und fragte: »Hast du schon das Konsulat angerufen?«
»Ja. Die haben gesagt, sie würden helfen, ihn zu finden.«
»Ach ja? Gut. Die finden ihn, du wirst schon sehen.« Die Haustür öffnete sich mit einem Quietschen, und sogleich wurde Patty hektisch und nervös. Sie stellte ihre Tasse so abrupt ab, dass der Kaffee überschwappte, und rannte förmlich ins Wohnzimmer, um ihren Mann zu begrüßen. Miriam hörte Pattys Stimme und verzog das Gesicht. »Du kommst aber früh! Ist alles in Ordnung?« Jacob knurrte eine Antwort und kam in die Küche, wo er Miriam erblickte.
»Ahhh«, sagte er. »Die Frau ohne Ehemann.«
Miriam dachte gar nicht erst darüber nach, warum die Bemerkung beleidigend war, sie fand sie einfach geschmacklos, aber andererseits fand sie ja auch Jacob geschmacklos, und er hätte vermutlich Gott weiß was sagen können, es hätte die gleiche Wirkung gehabt. »Hi«, sagte sie und griff vorsichtshalber nach ihrer Tasse, für den Fall, dass er noch irgendwas Schlimmeres von sich gab und sie sich ablenken musste.
Jacob trat an den Tisch und nahm ihr die Tasse aus der Hand. »Eine Frau in deiner Lage sollte was Stärkeres trinken.«
»Nein, danke«, sagte sie, aber Jacob kippte den Kaffee bereits in die Spüle. Er knallte die Tasse auf das Abtropfblech und holte eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank, die er an der Kante der Arbeitsplatte öffnete wie ein angeberischer Collegejunge und dann über den Resopaltisch schlittern ließ, sodass sie sie auffangen musste, damit sie ihr nicht in den Schoß fiel.
Trink , dachte sie. In ein paar Minuten bist du froh darüber . Sie nahm einen tiefen Schluck und stellte die Flasche geräuschvoll auf den Tisch. Patty schien aufgewühlt.
»Wie war die Arbeit?«, trällerte sie und ging zur Spüle. Sie wartete die Antwort nicht ab. »Ich hab nicht so früh mit dir gerechnet, sonst wäre das Abendessen fertig. Ich wollte einen Braten machen.«
Miriam hatte die beiden nicht oft zusammen erlebt, zweimal auf Partys hier im Compound und einmal bei einem Picknick an einem Privatstrand, das abgebrochen wurde, als die Temperatur über 43 Grad kletterte. Sie lebten seit sieben Jahren hier und hatten nicht die Absicht, das Land zu verlassen. Vielleicht wäre die Stimmung zwischen ihnen etwas weniger angespannt, wenn Kinder im Haus lebten oder wenigstens ein Hund, aber ihre einzige Tochter Amanda ging auf ein Internat in New Hampshire. Miriam vermutete, dass das Jacobs Idee gewesen war.
Miriam hatte ihn immer einschüchternd gefunden. Anscheinend genoss er es, sie zu verunsichern. Sie fragte sich, wie Patty damit klarkam, aber Patty plapperte ständig nervös vor sich hin, und das schien ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Eric hatte es immer so dargestellt, als wäre Jacob lediglich ganz praktisch als Freund. Sie arbeiteten in derselben Firma. Sie waren beide früher beim Militär gewesen. Sie mochten dieselben Dinge: Angeln, Tauchen, Camping in der Wüste. Natürlich machten sie nie viel zusammen außer arbeiten, aber zumindest hatten sie Gesprächsstoff.
Sie musterte Jacob. Sein längliches Gesicht war leicht sonnenverbrannt und sah immer irgendwie rau aus, auch wenn er sich rasiert hatte. Er hatte nussbraune Augen, bei deren Anblick sie unwillkürlich an warme Vaseline denken musste. Er war Sicherheitsspezialist, wie Eric, und das sah man seinem Körper an – durchtrainiert, muskulös, hart. Seine Bewegungen hatten die Präzision eines Mannes, der seinen Lebensunterhalt damit verdiente, dass er immer alles im Auge behielt, Menschen bewachte und mit gefährlichen Waffen umging. Vielleicht war Patty
Weitere Kostenlose Bücher